Quergeschrieben

Ich will in keinem stillen Sprachloch verschwinden

imago images/Martin Müller
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Ist es ein raffiniertes (männliches) Prinzip, mit gendersensibler Sprache von struktureller Frauenbenachteiligung abzulenken? Lamento einer bekennenden Altfeministin.

In den Medien herrschte schon ganz viel Frauentag am Tag vorm Frauentag. Spätestens am Tag eins danach wird die Frauenbewegtheit wieder für ein Jahr sorgsam eingemottet. Und Tristes – etwa die Prognosen des „Global Gender Gap Report“, wonach Frauen frühestens im nächsten Jahrhundert wirtschaftlich gleichberechtigt sein werden – mit Feel Goodies wie geschlechtergerechtem Schönsprech, Asterisks und stimmlosem glottalem Plosiv vulgo gesprochenem Genderstern placebobehandelt. Auch wenn es biologisch gesehen Unsinn ist, sollen gendersensibilisierte Babys fürderhin mit Eltern- statt Muttermilch, im englischen Sprachraum mit Chest- statt Breastfeeding abgespeist werden. Schließlich könnte sich jemand vom weiblichen Brustfütterungsalleinstellungsmerkmal dominiert und diskriminiert fühlen. Also, Frauen, werdet, was ihr seit Jahrhunderten perfektioniert: unsichtbar!

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Selbstherrlich (oder selten dämlich?) schreibt die „Dudin“ (vormals: der „Duden“) die deutsche Grammatik um: zum Gast gesellt sich die Gästin, zum Bösewicht die Bösewichtin und zum Menschen die Menschin. Müsste demnach eine männliche Person geschlechtergerechter „der Personer“ und eine mehrheitlich aus Männern bestehende Familie „der Famil“, „der Familio“ oder zumindest genderneutral „das Familie“ heißen? Und die Führungskraft ist zu knapp achtzig Prozent leider immer noch ein Führungskräfterich. Gendern statt Klartext zu reden über Frauenrechte, weibliche (Alters-)Armut, strukturelle Benachteiligung von und Gewalt gegen (Cis- wie Trans-) Frauen: ja, auch eine Möglichkeit. Für die Mehrheit der Weltbevölkerung, also die Frauen, aber eher nicht die allerbeste.

Der von mir sehr geschätzte „ZiB 1“-Moderator Tarek Leitner gilt als Pionier des stimmlosen glottalen Plosivs, schon pflanzt sich der in die Lautsprache übersetzte Asterisk quer durch alle Nachrichtensendungen fort: Eine kurze Atempause soll den Raum zwischen männlicher und weiblicher Form für alle Geschlechteridentitäten erleuchten. In der entstehenden Zehntelsekundenstille dürfen sich Frauen ebenso wie LGBTQI* (also lesbische, schwule, bi-, trans-, inter- und asexuelle, transgender und queere) Menschen wiederfinden.

Gendern statt Klartext zu reden über Frauenrechte, weibliche Armut, Benachteiligung von Frauen: ja, auch eine Möglichkeit.

Andrea Schurian

Junge Feministinnen sehen das sicherlich anders. Aber ich will in keinem stillen Sprachloch verschwinden oder der Appendix einer Atempause sein. Frei von ideologischen Scheuklappen könnte man freilich wieder zwischen Genus und Sexus unterscheiden, also zwischen grammatischem und biologischem, sozialem, (selbst) gewähltem Geschlecht: Denn das generische Maskulinum benennt Menschen und Institutionen losgelöst vom biologischen Geschlecht oder der sexuellen Orientierung. Warum er diese Variante für altbacken und gegessen hält, erklärte Tarek Leitner vor ein paar Wochen im „Profil“. Es klang allerdings stellenweise eher wie ein Plädoyer dafür: „Das generische Maskulinum zielte nicht auf das biologische Geschlecht ab. Es benannte eine Gruppe Menschen unterschiedlichen Geschlechts ganz generell.“ Ganz generell, exakt: Wer „zum Arzt“ geht, meint damit nicht zwangsläufig einen Mann, sondern einen Menschen (m/w/*) mit medizinischer Ausbildung. Führt eine Frau die Operation durch, spricht man von einer Chirurgin. Das tat man auch schon vor zwanzig Jahren.

„Ich werde den Gedanken nicht los, dass es bei diesem doch eher peinlichen Gestammel weniger um die weiblichen oder queeren Adressaten als um moralische Selbstgefälligkeit geht und darum zu zeigen, dass man die politisch korrekte Fassade auch in der ,ZiB‘ aufrechthält“, sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann in der Ende März erscheinenden Ausgabe von „NU“ über den zeitimbildlichen Glottisschlag: „Ich empfinde diese Präsentation von moralischer Eitelkeit in öffentlichen Medien auch aus ästhetischen Gründen als sehr unangenehm, anbiedernd, geradezu ekelhaft.“

Die Autorin

Dr. Andrea Schurian ist freie Journalistin. Die ehemalige ORF-Moderatorin („Kunst-Stücke“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerporträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturressort der Tageszeitung „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakteurin der jüdischen Zeitschrift „NU“.

E-Mails: debatte@diepresse.com
[R9J7D]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2021)


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