Sarkozy: Ein Präsident allein gegen Europa

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Erzürnt antwortet Frankreichs Regierung auf die EU-Kritik zur Roma-Ausweisung. Der Streit mit Brüssel schlägt in Europa hohe Wellen, den angeschlagenen Präsidenten könnte es weiter in Bedrängnis bringen.

Mir reicht der Ton. Meine Geduld hat Grenzen. So behandelt man keinen großen EU-Staat!“ Nicht eben diplomatisch reagierte Frankreichs Europa-Staatssekretär Pierre Lellouche auf die EU-Schelte wegen der französischen Roma-Politik. Über die Befindlichkeit der Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy sprechen diese Worte aber Bände: Wütend, verletzt, aber auch erstaunt ist man in Paris über die „Brüsseler Dreistigkeit“, sich in französische Angelegenheiten einzumischen. Die Kritik ist aber auch eine neue Ohrfeige für den zunehmend unpopulären Staatschef. „Präsident Sarkozy ist angeschlagen, und angeschlagene Boxer schlagen besonders unberechenbar zurück“, analysiert ein deutscher Radiokommentator.

Am Dienstag hatte EU-Justizkommissarin Viviane Reding die französische Regierung wegen der Gruppenausweisung bulgarischer und rumänischer Roma attackiert. Sie kündigte rechtliche Schritte an, da Paris gegen das EU-Grundrecht auf Niederlassungsfreiheit verstoßen habe. Die Luxemburgerin sprach von einer „Schande“ und zog einen Vergleich mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten.

„Nicht hinnehmbar“ ist laut einem hochrangigen Mitarbeiter von Präsident Sarkozy die Wortwahl der Kommissarin. Er schlug dann aber doch einen deutlich diplomatischeren Ton als der Europa-Staatssekretär an, als er meinte: „Es ist Zeit, einen besänftigenden Dialog zu führen.“ Dafür wird sich heute in Brüssel eine gute Gelegenheit bieten. Beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs könnte es zu einer Aussprache zwischen EU-Kommissionschef José Barroso und Sarkozy kommen. Barroso hat angekündigt, das Thema ansprechen zu wollen. Ob Sarkozy darauf mit der angekündigten „Sanftheit“ reagieren wird, ist aber fraglich. Diplomaten befürchten einen offenen Schlagabtausch. In der Union schlägt die Affäre hohe Wellen: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn etwa warf Paris vor, „das EU-Ansehen in der Welt zu schädigen“.

Genervte Europäer

Aber auch auf einer anderen Front dürfte Sarkozy in Brüssel eine Niederlage erleiden: Beim Gipfel dürfte seine Wunschvorstellung einer „dirigistischen“ EU-Wirtschaftsregierung endgültig zu Grabe getragen werden. Seit Monaten zeichnet sich ab, dass sich die Diskussion immer mehr in Richtung deutscher Pläne einer lockeren Wirtschaftskoordination mit strengen Budgetkontrollen bewegt.

Dem bereits stark angeschlagenen Image des hyperaktiven Macherpräsidenten wird das nicht guttun. Zumal die Wirtschaftsregierung nicht das erste großspurig angekündigte „persönliche“ Europa-Projekt Sarkozys ist, das im Sand verläuft. Die während der französischen EU-Präsidentschaft 2007 mit viel Trara beworbene Mittelmeerunion besteht de facto nur auf dem Papier. Bereits jetzt plagen Sarkozy katastrophale Umfragewerte, ausgelöst von Korruptionsskandalen, Rassismusvorwürfen, unbeliebten Reformen und einer neuen, nicht eben freundlichen, Biografie über das Leben seiner Frau Carla Bruni.

Und nun hat der Glamour-Präsident auch auf dem internationalen Parkett an Glanz verloren. Nicht wenige EU-Politiker sind zunehmend genervt von Sarkozys unberechenbaren Alleingängen. Ein Lied davon kann Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel singen. Zwischen ihr und dem „Président“ herrscht nach Streitereien über die Zukunft Europas Eiszeit. Die traditionell treibende Kraft in der EU-Politik, der deutsch-französische Motor, stockt seitdem.

Doch nun, in Zeiten der Not, stellt sich Berlin mit diplomatischer Grandezza hinter ihn: Es sei das Recht der Kommission, die Einhaltung der EU-Rechte zu überprüfen, so ein Sprecher. „Solche Stellungnahmen sind nützlicher, wenn sie gemäßigter ausfallen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16. September 2010)

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