Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer sieht etliche offene Fragen und "ziemliche Probleme bei der Umsetzung". Sechs Monate seien "schon recht knapp". Die Arbeitsämter zählten im Vorjahr knapp 13.000 "Jobverweigerer".
Wien (ett/APA). Der Vorschlag von Familienstaatssekretärin Christine Marek (ÖVP), dass Empfänger einer sozialen Mindestsicherung von 744 Euro netto nach sechs Monaten ohne Job zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden sollen, stößt auf Bedenken in Expertenkreisen. „Prinzipiell kann man darüber nachdenken“, sagt der Arbeitsmarkt-Fachmann im Institut für Höhere Studien (IHS), Helmut Hofer, im Gespräch mit der „Presse“. Allerdings sehe er „ziemliche Probleme“ bei der Umsetzung: Verdrängungseffekte bei Niedriglohnjobs; Fragezeichen um die Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt; Zweifel, ob bei einer Verpflichtung Arbeitslose tatsächlich für den Job geeignet seien.
ÖVP: Bürgermeister dafür
ÖVP-Obmann Vizekanzler Josef Pröll hat sich hinter den Vorstoß Mareks gestellt. In der ÖVP-Bundeszentrale wird außerdem darauf hingewiesen, dass es eine Reihe von Bürgermeistern gebe, die viel Interesse zeigten, Langzeitarbeitslose bei gemeinnützigen Tätigkeiten einzusetzen.
IHS-Experte Hofer räumt ein, es klinge „politisch schön“, Langzeitarbeitslose zurück in eine Beschäftigung zu bringen. Marek möchte, dass dies schon nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit passiert. Diese Zeitspanne sei „schon recht knapp“, meint Hofer. Außerdem sei zu bedenken, dass es dabei zu einem Verdrängen des bisherigen privaten Sektors komme.
Hofer bezweifelt für den Fall der Umsetzung einer „Arbeitspflicht“ für Langzeitarbeitslose auch, ob Betroffene dann beispielsweise im Pflegebereich ausreichend motiviert sind, etwa, wenn dort eine Person hinkomme, die tatsächlich nicht arbeiten wolle. Er sei eher ein „Fan“ von Projekten, mit denen Langzeitarbeitslose direkt in den regulären Arbeitsmarkt gebracht werden.
Grundsätzlich betont auch Hofer, dass er Verständnis hat für den Gedanken Mareks vom „Fördern und Fordern“, der hinter der Idee stehe. „Es ist wichtig, dass man die Leute motiviert und dass man sie überwacht.“ Allerdings verweist er darauf, dass dies beim Bezug von Arbeitslosengeld schon jetzt durch das Arbeitsmarktservice (AMS) geschieht.
AMS: 13.000 „Jobverweigerer“
Das AMS rechnete am Mittwoch vor, dass die Arbeitsämter im Vorjahr in knapp 13.000 Fällen mit Personen konfrontiert waren, die die Aufnahme einer neuen Arbeit „verweigert“ haben. In 217 Fällen wurde das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe mangels Arbeitswilligkeit komplett gesperrt, in 12.935 Fällen kam es zu Sanktionen, weil die Aufnahme von Arbeit oder eine Schulungsmaßnahme verweigert wurde. Insgesamt wurden 2009 vom AMS 93.100 „Sperren“ des Arbeitslosengeldes verzeichnet.
AMS-Chef Johannes Kopf steht zur Verpflichtung zur Aufnahme von Jobs: „Manche können nicht mehr arbeiten, aus vielen Enttäuschungen heraus. Da ist ein Zwang arbeitsmarktpolitisch sinnvoll.“ Er verwies allerdings darauf, dass die seit Anfang September vorerst in drei Bundesländern eingeführte Mindestsicherung ohnehin verstärkt dazu genützt werden solle, Betroffene in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
ÖGB-Präsident Erich Foglar kritisiert eine „Arbeitspflicht“ mit gemeinnützigen Tätigkeiten. Das sei „Wahlkampfgetöse“ vor der Wiener Wahl. Die Spitzenkandidatin der Wiener Grünen, Maria Vassilakou, geißelte Mareks Vorschlag ebenfalls scharf: „Am 10. Oktober können sich die Leute fragen, ob sie Arbeitszwang wollen oder unser Programm.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2010)