Prozess

Tschetschenische Sittenwächter prangerten Frauen an

Als Sittenwächter standen fünf tschetschenische Männer in Wien vor Gericht.
Als Sittenwächter standen fünf tschetschenische Männer in Wien vor Gericht.APA/Herbert Pfarrhofer
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Fünf Männer aus Tschetschenien standen vor Gericht, weil sie Frauen in Wien dazu zwangen, nach den alten Traditionen ihres Heimatlandes bzw. nach strengen islamischen Regeln zu leben.

Sie sei froh in einem „multikulturellen Personenkreis“ zu leben. Sie sei froh in einem freien Land zu leben. Und sie froh in einem Land mit Religionsfreiheit zu leben.

Das sagte die Staatsanwältin am Mittwoch, zu Beginn einer von Polizei und Justizwache streng gesicherten, mehrtägigen Gerichtsverhandlung gegen fünf Männer aus Tschetschenien. Diese – der jüngste ist 19, der älteste 38 – sollen als islamische Sittenwächter tschetschenische Frauen kontrolliert und auch tyrannisiert haben.

Prangerwirkung durch hunderte Mitglieder

Als Administratoren von Chat-Kanälen bzw. als Hinweisgeber sollen die fünf Männer „mehrere hundert Mitglieder“ der tschetschenischen Community zu einer Internet-Gruppierung verwoben haben. Den gegen das Quintett erhobenen Vorwurf erklärt die Anklägerin so: „Die Angeklagten wollten bei tschetschenischen Frauen ein mit der Scharia konform gehendes Verhalten durchsetzen.“

Auch sollen die Männer jene Landsleute, die nicht nach alten tschetschenischen Traditionen leben wollten, bedroht, eingeschüchtert und zum Teil misshandelt haben. Die Opfer, meist junge Frauen, sollen mit Hilfe der Gruppierung ausgekundschaftet worden sein. Bei westlichen Verhaltensweisen – Beispiel: Posten eines Bikini-Fotos auf Instagram – sollen die Opfer innerhalb der Chat-Gruppe bloßgestellt worden sein.
Die Angeklagten seien daher Mitglieder einer kriminellen Vereinigung. Diese sei auf die Begehung „erheblicher Gewalttaten, wie etwa schwere Nötigung“ ausgerichtet.

Der 38-jährige Erstangeklagte Shaid N. bekannte sich als einziger – vertreten von Anwalt Alexander Phillipp – zur Gänze schuldig. Der nach eigenen Angaben von 1500 Euro monatlicher Sozialhilfe lebende zweifache Familienvater wollte (außer seinem Geständnis) keine Angaben machen. Bei ihm kam Richterin Katharina Adegbite-Lewy rasch zu einem Urteil. N. – er war in den Chat-Kanälen als „King of the Night“ aufgetreten – erhielt eine eher milde Strafe: 15 Monate Haft. Davon wurde zehn Monate auf Bewährung verhängt. Den unbedingten Haftteil hat N. bereits in U-Haft abgesessen. Er muss daher nicht mehr hinter Gitter.

Belehrung durch „die Älteren“

Ein weiterer Angeklagter, A. (19), erklärte der Richterin, er sei kein Täter, sondern Opfer. Denn er habe sich dafür eingesetzt, dass keine bloßstellenden Fotos von Frauen innerhalb der Chat-Community verbreitet werden sollen.

Vielmehr sei es ihm darum gegangen, dass „die Älteren“ der tschetschenischen Gemeinschaft mit den vermeintlich vom rechten Weg abgekommen Jungen belehrende Gespräche führen sollten. Außerdem sei er selber beim Rauchen einer Wasserpfeife auf einem Foto im Internet entdeckt worden. Und habe selber Probleme bekommen. Sein Anwalt Florian Kreiner stellte den 19-Jährigen so dar: „Er lebt westlich. Er hat auch Kontakt zu Frauen, die nicht aus der tschetschenischen Community sind.“

Tatsache ist, dass der 19-Jährige erst 2018 zu eineinhalb Jahren teilbedingter Haft verurteilt worden ist. Wegen schwerer Erpressung und krimineller Vereinigung. Die Bewährungsfrist (Probezeit) ist noch offen.

Geradezu kurios gestaltete sich der Auftritt des Angeklagten B. Der junge Mann war zu Beginn der Verhandlung verhindert, weil er in einem anderen Gerichtssaal saß. Dort fasste er wegen Einbruchsdiebstahls eine Zusatzstrafe von acht Monaten aus – nachdem er davor wiederum zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, die er derzeit verbüßt.

Als einer der Rädelsführer soll der Angeklagte D. (20) agiert haben. Dabei soll er im sogenannten „Aufseher“-Kanal auf Telegram unter dem Chat-Namen „Heinrich Himmler“ präsent gewesen sein.

„Ich brauche Unterhaltung“

Auch D. ist der Justiz wohl bekannt. Er wurde im August 2020 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung im Zuge der Ausschreitungen in Wien Favoriten festgenommen. Derzeit sitzt der zweifach vorbestrafte Tschetschene eine einjährige Strafhaft wegen versuchter schwerer Körperverletzung und gefährlicher Drohung ab. Sein Anwalt erklärte nun, D. habe tatsächlich viel gechattet. Aber man dürfe ihn nicht gleich als Sittenwächter „einteilen“.

D. selbst bekannte sich nicht schuldig. Er habe den Chat als „Unterhaltungsgruppe“ gesehen. Denn: „Ich bin jung. Ich brauche Unterhaltung.“

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