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Kurz kritisiert "Basar" für Impfstoffe - EU-Kommission sieht Verantwortung bei Staaten

Berlin opens its 6th COVID-19 vaccination centre in former Tempelhof airport
Berlin opens its 6th COVID-19 vaccination centre in former Tempelhof airport(c) REUTERS (TOBIAS SCHWARZ)
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Anders als vereinbart, würden die Corona-Impfstoffe nicht nach Bevölkerungsschlüssel verteilt, erklärt der Kanzler. Einige Mitgliedsstaaten hätten weniger bestellt, als ihnen zustünde, kontert die EU-Kommission.

Es sind schwere Vorwürfe, die Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Bezug auf die Verteilung der Corona-Impfdosen in der EU erhebt: „Die Lieferungen erfolgen nicht nach Bevölkerungsschlüssel“, sagte er am Freitag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Das widerspreche den Vereinbarungen der Staats- und Regierungschefs. Österreich habe bisher noch keinen Schaden genommen, aber es sei eindeutig, dass einige Mitgliedsstaaten zu viel und einige zu wenig erhielten.

In den letzten Wochen sei viel gestaunt worden über den Impffortschritt von Ländern wie Dänemark oder Malta, während etwa in Bulgarien vergleichsweise wenig geimpft werde, erklärte der Kanzler. „Zunächst waren alle der Meinung, dass es Unterschiede in der Impfgeschwindigkeit geben muss, aber je weiter die Zahlen auseinander gedriftet sind, umso klarer wurde es, dass das nicht der einzige Grund sein kann.“ Daher habe man die Lieferdaten verglichen. Malta würde demnach, wenn die Lieferungen so weitergehen, bis Ende Juni fast dreimal so viel Impfstoff erhalten wie Bulgarien; die Niederlande mehr als Deutschland und fast doppelt so viele wie Kroatien. Österreich liege hier aktuell im Mittelfeld.

Wenn sich der Trend fortsetze, könnten manche Mitgliedsstaaten schon im Mai mit der Durchimpfung fertig sein, andere erst im späten Sommer oder Herbst. „Ich habe gestern diese Informationen mit anderen Regierungschefs geteilt, viele konnten ihren Augen und Ohren nicht trauen“, sagte Kurz.

„Basar“ für Impfstoffe?

Anscheinend seien im Widerspruch zu den Vereinbarungen der Staats- und Regierungschefs in der EU-Steuerungsgruppe ("Steering Board") zwischen Gesundheitsbeamten und Pharmafirmen eigene Abmachungen getroffen worden. „Diese Verträge sind geheim, es soll einen sogenannten Basar gegeben haben“, so der Kanzler. Das Wort „Basar“ stamme nicht von ihm, sondern das entsprechende Gremium im Steering Board soll offiziell so bezeichnet worden sein.

Es brauche jetzt dringend volle Transparenz über diese Vereinbarungen und es müsse eine Lösung gefunden werden, um die gerechte Verteilung nach Bevölkerungszahlen herzustellen, forderte Kurz. Als Vorwurf gegen die EU wolle er all das aber nicht verstanden wissen.

EU-Kommission: Staaten bestellten zum Teil weniger

Die EU-Kommission verwies am Freitag auf die Verantwortung der Mitgliedstaaten. Diese hätten die Möglichkeit, von einzelnen Impfstoffen weniger zu bestellen, als ihnen aufgrund der Bevölkerungsgröße zustünde. "Einige Mitgliedsländer haben von dieser Option Gebrauch gemacht. Die Ausgestaltung der nationalen Impfportfolios konnte von den Mitgliedstaaten gemäß ihren Präferenzen bestimmt werden", hieß es aus Kommissionskreisen.

Alle EU-Staaten seien im Steering Committee vertreten, der die vertraglichen Abnahmegarantien überprüft. In den Abnahmegarantien sei sichergestellt, dass alle Mitgliedstaaten zu den gleichen Konditionen und zum gleichen Zeitpunkt Zugang zu den einzelnen Impfstoffen haben. Österreich spiele im Lenkungsausschuss eine maßgebliche Rolle, der Co-Vorsitzende sei Clemens-Martin Auer, Sonderbeauftragter im österreichischen Gesundheitsministerium. Auf Basis der Abnahmegarantien, welche auf EU-Ebene ausgehandelt worden seien, hätten die einzelnen Mitgliedstaaten konkrete Lieferverträge mit den einzelnen Herstellern geschlossen, die jeweils auf Ministerebene gebilligt worden seien. 

Zuletzt war bekannt geworden, dass Österreich und mehrere weitere EU-Länder nicht so viele Dosen des Coronavirus-Impfstoffs des US-Konzerns Moderna bestellten, wie sie hätten können. Österreich schöpfte sein volles Kontingent des ersten und zweiten Vertrags der EU mit Moderna aus, nur lediglich bei einer Zusatzoption wurde weniger abgerufen, wie das Gesundheitsministerium bestätigte. Grund war der späte Liefertermin.

(c) APA

SPÖ glaubt „eher an Märchen"

SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher warf Kurz vor, „auf unwürdige Art und Weise“ zu versuchen, „Sündenböcke für sein Versagen zu finden.“ Im österreichischen Krisen-Management sei alles schiefgegangen, der Kanzler müsse endlich die Verantwortung dafür übernehmen.

Kurz wisse offenbar nicht einmal, was seine Spitzenbeamten in der EU ausverhandelt hätten. „Wenn das, was Kanzler Kurz heute gesagt hat, wirklich wahr ist, müsste man die Regierungsbeamten sofort suspendieren. Wir glauben aber eher, dass Kurz wieder einmal Märchen erzählt, um von diversen Korruptionsvorwürfen abzulenken“, kritisierte Kucher in einer Aussendung.

Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger konstatierte auf Twitter: "Leadership eine Katastrophe. Und jetzt? Ablenkung". Österreich habe „womöglich auch weiteren Impfstoff ausgeschlagen." Der pinke Gesundheitssprecher Gerald Loacker fragte, warum der Sonderbeauftragte des Gesundheitsministeriums, Clemens Martin Auer, in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der EU-Steuerungsgruppe der ungleichen Verteilung überhaupt zustimmte.

Der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky fragte, ebenfalls via Twitter: "Wann schmeißen Kurz/Anschober nach der 'Impfstoff Benachteiligung Österreichs' Ihren in der EU dafür zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden des 'Gemeinsamen EU Impfstoffausschusses' hinaus?".

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