Coronapandemie

Impfstoff-Verteilung: Orbán teilt Kurz' Meinung, dass hier etwas "nicht stimmt"

Archivbild von Ungarns Premier Viktor Orbán beim EU-Gipfel in Brüssel im Dezember 2020.
Archivbild von Ungarns Premier Viktor Orbán beim EU-Gipfel in Brüssel im Dezember 2020.REUTERS
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Impfstoffe würden gar nicht oder verspätet geliefert, heizt der ungarische Premier Orbán die EU-Debatte erneut an. EU-Vizekommissionspräsident Timmermanns spricht in einem Interview von Fehlern "sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedsstaaten“.

Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Sonntag wegen schleppender Impfstoff-Beschaffung erneut Kritik an der Europäischen Union geübt. Im staatlichen Rundfunk betonte der Premier, dass es immer wieder Enttäuschungen hinsichtlich der Vakzine-Beschaffung durch Brüssel gebe. Die Impfstoffe würden gar nicht, in geringerer Menge oder verspätet eintreffen, kritisierte Orbán.

Hinsichtlich eines möglichen EU-Gipfels zum Thema Verteilung von Impfdosen unter den Mitgliedsstaaten teilt Orbán die Meinung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass hier etwas "nicht stimmt".

Ungarn habe westlichen Impfstoff für 13 Millionen Menschen bestellt, doch bereits im November erkannt, dass es Probleme geben werde. Deswegen habe Ungarn zwei bzw. fünf Millionen Dosen des russischen Impfstoffs Sputnik V und der chinesischen Sinopharm bestellt, die aufgeteilt zu den versprochenen Terminen einträfen. Ungarn habe die russischen und chinesischen Impfstoff-Beschaffungsverträge offengelegt, was die EU bei ihren Verträgen mit den Vakzinlieferanten nicht getan habe. Die Brüsseler Bürokraten hätten es "vermasselt", weil sie mit den Lieferanten Verträge geschlossen, die ohne deren Zustimmung nicht veröffentlicht werden können.

Ungarn in der dritten Corona-Welle

Zur Kritik an hohen Preisen für den chinesischen Impfstoff, den Ungarn zu zahlen habe, erklärte der Ministerpräsident: Ungarn hätte einen noch höheren Preis gezahlt, denn es gehe um Menschenleben. Laut Orbán hat Ungarn mit der Entwicklung eines eigenen Corona-Impfstoffs begonnen. Derzeit sei man in der Phase der Tierversuche. Für die künftige Produktion werde ein Werk im ostungarischen Debrecen gebaut, so dass Ungarn in einem Jahr zum Selbstversorger werde könnte. Ein solches Werk baue Ungarn auch in Israel.

Angesichts der dritten Corona-Welle warnte Orbán, dass sein Land vor der bisher schwersten Woche stehe. Ausländische Hilfe brauche Ungarn aber nicht. Die dritte Pandemiewelle hatte auch in den vergangenen 24 Stunden erneut dramatische Folgen. Es wurden 8.863 Neuinfizierte in Ungarn registriert. 162 Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus. In den Spitälern befinden sich 8.764 Covid-Patienten, 1.005 Menschen müssen künstlich beatmet werden.

Timmermanns räumt Fehler ein

EU-Kommissionsvize Frans Timmermans hat Versäumnisse bei der Bestellung der Corona-Impfstoffe eingeräumt. "Sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedstaaten" seien Fehler gemacht worden, sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". Am Ende der Pandemie könne man Bilanz ziehen, um zu sehen, "was wir falsch und was wir richtig gemacht haben". Vorerst gehe es aber erst einmal darum, "dass ganz Europa Impfstoff bekommt".

Ein europäisches Vorgehen sei "auch im Interesse der reicheren Staaten" wie Deutschland erfolgt, ergänzte der Stellvertreter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Blick auf die gemeinschaftliche Impfstoff-Bestellung.

Für Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) "steht außer Frage, dass Fehler bei der EU-Impfstoffbeschaffung passiert sind", wie sie am Sonntag in einer schriftlichen Stellungnahme festhielt. "Seit einem Jahr kämpft Europa gemeinsam gegen die Pandemie. Die Erforschung und gemeinschaftliche Beschaffung von Impfstoff war ein Schlüsselmoment in der Bekämpfung von Covid-19 und hat zweifellos gerade für kleine und mittlere Staaten wie Österreich Vorzüge gebracht. Die EU ist ein wichtiger Partner in der gemeinsamen Bekämpfung des Virus. Nichtsdestotrotz müssen wir stetig die Lehren aus der Krise ziehen", mahnte Edtstadler.

Kommission in der Kritik

Die EU-Kommission hat von den vier in der EU zugelassenen Corona-Impfstoffen insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Dosen geordert - eigentlich mehr als genug für die rund 450 Millionen Europäer. Allerdings steht die Kommission seit längerem in der Kritik, unter anderem weil ihr zögerliches Handeln und strategische Fehler bei der Bestellung von Impfstoffen vorgeworfen werden.

Auch die Verteilung der Impfstoffdosen auf die Mitgliedstaaten wird in manchen Hauptstädten der EU als ungerecht empfunden. So haben Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine Amtskollegen aus Bulgarien, Lettland, Slowenien, Tschechien und Kroatien in einem Brief an den EU-Ratspräsidenten und von der Leyen hochrangige Gespräche über eine gerechtere Verteilung der Corona-Impfdosen verlangt.

Lieferprobleme

Ein weiteres Problem ist die Lieferfähigkeit von AstraZeneca. Am Freitag hatte der Konzern angekündigt, statt 220 Millionen nur 100 Millionen Dosen bis zur Jahresmitte an die EU-Staaten liefern zu können. Mehrere deutsche Bundesländer etwa ziehen daraus Konsequenzen. Thüringen stoppte die Terminvergabe für Impfungen und verschob den geplanten Start von Impfungen bei Hausärzten. Sachsen-Anhalt stellt die Impfungen von Polizisten zurück. In Berlin werden neue Impftermine über eine längere Dauer gestreckt.

Der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber erklärte in der Zeitung "Welt am Sonntag", solange AstraZeneca seine Lieferzusagen nicht erfülle, "sollte die EU einen grundsätzlichen Exportstopp von in der EU produzierten Impfstoffdosen des Unternehmens verhängen". Denn es entstehe "der Eindruck, dass andere Länder gegenüber der EU bevorzugt" würden. Die EU hatte den USA und Großbritannien vorgeworfen, keinen im Land produzierten Impfstoff zu exportieren.

(APA/dpa)

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