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Pressestimmen: ''Sarkozy-Berlusconi verletzen EU für Machterhalt''

Die Zeitungen in Europa kommentieren am Freitag den Streit auf dem EU-Gipfel über die französische Roma-Politik.
17.09.2010 um 10:34
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Die Zeitungen in Europa kommentieren am Freitag den Streit auf dem EU-Gipfel über die französische Roma-Politik. Im Folgenden Auszüge im Wortlaut ...
''Neue Zürcher Zeitung''
''Neue Zürcher Zeitung''
"In der Presseerklärung Redings (EU-Justizkommissarin; Anm.) stieß sich Paris - wie übrigens auch Berlin oder Rom - besonders an folgender Passage: Die Situation in Frankreich habe den Eindruck erweckt, schrieb Reding, 'dass Menschen aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union entfernt werden, nur weil sie einer bestimmten ethnischen Minderheit angehören. Ich hatte geglaubt, Europa müsse so eine Situation nach dem Zweiten Weltkrieg nicht noch einmal erleben.' Reding erwies mit ihrer unbedachten Äußerung - sofern sie denn unbedacht war - der EU-Kommission einen Bärendienst. Denn damit gab sie Frankreich Munition für eine geharnischte Reaktion in die Hand und half mit, dass das eigentliche Thema weiter in den Hintergrund rückte: die Frage nämlich, ob das französische Vorgehen mit der EU-Gesetzgebung vereinbar ist und wie mit einem eindeutigen Missbrauch des freien Personenverkehrs umzugehen ist, wenn er zudem von einer in vielerlei Hinsicht bedrängten ethnischen Minderheit begangen wird."
''El Pais'' (Madrid)
"Die Deportation von Roma aus Frankreich hat die EU in eine beispiellose Krise gestürzt. Allein die EU-Kommission bot dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy auf dem EU-Gipfel die Stirn. Die meisten EU-Regierungschefs gaben dagegen eine traurige Figur ab. Sie entschieden sich für eine opportunistische Haltung und stellten sich auf die Seite Sarkozys. Dabei konnten sie auf die unfreiwillige Hilfe von Viviane Reding bauen.

Die EU-Kommissarin hatte ihnen mit ihrer verbalen Entgleisung die Möglichkeit geboten, vom eigentlichen Thema abzulenken. Ein besonders peinliches Spektakel lieferten in dieser Hinsicht die Regierungschefs aus Spanien und Deutschland, Jose Luis Rodriguez Zapatero und Angela Merkel. Niemand wagte es, Sarkozy wegen dessen Entgleisungen zu kritisieren."
''La Repubblica'' (Rom)
"Auf dieselbe Weise wie (der libysche Revolutionsführer Muammar) Gaddafi kürzlich fünf Milliarden Euro jährlich verlangt hat, um Europa die afrikanischen Immigranten vom Hals zu halten, sprechen (der französische Präsident Nicolas) Sarkozy und (der italienische Ministerpräsident Silvio) Berlusconi heute von den Roma: Als handelte es sich um Abfall und nicht um Menschen. Beide wissen genau, dass sie damit riskieren, die niedrigsten Instinkte in ihrer Bevölkerung zu wecken. (...) Und doch verletzen sie bewusst das Gebäude Europa aus der Angst heraus, die eigene Macht zu verlieren. Dunkle Zeiten sind die, in denen die Herrschenden denen von ihnen selbst geschürten Ängsten zum Opfer fallen, um die Missstimmung unter den Bürgern im Rahmen zu halten."
''Sega'' (Sofia)
"Frankreich hat Gründe, sich Sorgen zu machen in dem neuen europäischen Krieg (zum Glück nur ein Wortkrieg), der wegen der bulgarischen und rumänischen Roma begann. (...) Obwohl Frankreich und Italien große Länder und zudem Gründerstaaten der Europäischen Union sind, scheint ihre gemeinsame Front gegen alle anderen doch eher zu verlieren als zu gewinnen.

Jeden Tag stellen sich ihnen gegenüber immer lautere Gegner. (...) Paris ist verurteilt, den Krieg zu verlieren, weil er eigentlich nicht für die Roma geführt wird, sondern für Prinzipien, die der Europäischen Union zugrunde liegen. Frankreich selbst hat ihre Grundlage aufgebaut, und umso mehr es an seine Verdienste erinnert, umso leichtsinniger wird seine jetzige Politik."
''Republicain Lorrain'' (Metz)
"Nicolas Sarkozy und der Präsident der EU-Kommission haben ihren Konflikt gestern mit scharfer Munition ausgetragen. Offiziell war der Präsident gekommen, um in der Debatte über die Abschiebungen von Roma Klarheit zu schaffen. Er hat schließlich einen massiven Zwist ausgelöst, bei dem er nicht einmal von seinen Kollegen verteidigt wurde - auch wenn er dies behauptet. Es gab einen frontalen Zusammenprall mit (Kommissionspräsident) Barroso - und die Staats-und Regierungschefs haben unseren Präsidenten im Stich gelassen: Nicolas Sarkozy ist es nicht einmal gelungen, auf klassische Art und Weise den EU-Rat gegen die Kommission aufzubringen (...)."
''L'Alsace'' (Mülhausen)
"Was wir erleben, ist, dass alle die Nase voll haben vom Sarkozy-Stil. Die Prahlerei des französischen Präsidenten, der freizügige Umgang mit dem EU-Recht in dem berühmten Rundschreiben vom 5. August, das explizit die Roma betraf - all das geht nicht mehr durch. Der Staatschef rühmt sich der - reellen - Unterstützung von Silvio Berlusconi und des tschechischen Ministerpräsidenten sowie des - angenommenen - Beistands von Angela Merkel. Doch sie hat gestern öffentlich kein Wort gesagt, um ihn in Schutz zu nehmen. Und gestern Abend hat sie die Behauptung dementiert, sie habe Sarkozy die Räumung illegaler Roma-Lager in Deutschland zugesagt. Noch eine Ohrfeige."
''Le Midi Libre'' (Montpellier)
"Nervenzusammenbruch. Große Krise. Frankreich steht im Mittelpunkt einer internationalen Kontroverse. (...) Nicolas Sarkozy, sichtlich angespannt und nervös, dachte gestern, er müsste den Brand löschen. Und mit Zähnen und Klauen eine Politik verteidigen, die die Mehrheit der europäischen Länder verurteilt. Mit Ausnahme Italiens (...) Wir haben eine internationale Standpauke erhalten (...) Die Kritik gegen Frankreich ist legitim. Aber die EU muss auch vor der eigenen Türe kehren. Und einen Aktionsplan beschließen, um den Roma in ihren Herkunftsländern zu helfen."

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