Morgenglosse

Wir müssen über Männer reden

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BRITAIN-POLITICS-PROTESTAPA/AFP/TOLGA AKMEN
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Der mutmaßliche Mord an der Londonerin Sarah E. treibt die Frauen in Großbritannien auf die Straße. Sie fordern eine Debatte ein, die auch in Österreich notwendig ist.

Am Abend des 3. März geht Sarah E. in London zu Fuß nach Hause. Sie kommt nicht daheim an. Stattdessen findet die Polizei ihren Körper in einem Wald in Kent. Die Polizei nimmt einen Mann fest, der Sarah E. getötet haben soll - einen Polizisten. Und die Polizei sagt: Frauen sollten jetzt besser nicht allein auf die Straße gehen.

Das tun sie im Moment auch nicht. In London gehen Frauen in Hundertschaften auf die Straße, weil sie es nicht mehr hören können. Da verschwindet, da stirbt eine junge Frau. Eine Tochter, eine Partnerin, eine Freundin, eine Kollegin, die Frau, die neben einem in der U-Bahn gerade noch Musik gehört hat. Und dann heißt es: Warum geht sie denn auch zu Fuß nach Hause? Warum nimmt sie denn kein Taxi? Wieso bleibt sie denn solange aus, wenn es doch schon dunkel ist? Sie ist schuld, hört man aus den Kommentaren heraus, schuld daran, dass sie tot ist. Nicht der Mann, der sie in ein Auto zerrt und sie tötet.

Die Frauen, die in London gerade auf die Straße gehen, sie wollen diese Töne nicht mehr hören. Sie empfinden es als lapidares Hinwegsteigen über Frauen, die gewaltsam sterben. Weil Frauen sterben oft gewaltsam. Die Frauen, die in London demonstrieren, sie sagen: Wir könnten auch sagen, es sind Männer, die töten, die oft töten. Sie fordern, den Blick auf Gewalt gegen Frauen zu ändern, und sie als das zu benennen, was sie auch ist: Gewalt durch Männer.

Egal, ob Großbritannien, ob Österreich, die Debatte, die die Frauen in London anstoßen wollen, sie ist notwendig. Warum reden wir stets über Frauen, über ihre Sicherheit? Wir müssen auch über Männer reden. Warum sagen wir nur einem Teil der Gesellschaft, man solle immer auf der Hut sein, sich die Kombination für die Aktivierung des Handy-Notrufknopfs merken (fünf Mal schnell auf die Power-Taste)? Warum sagt die Londoner Polizei einem Teil der Gesellschaft - den Frauen -, man solle gar nicht mehr allein auf die Straße gehen?

Dem anderen Teil wird wenig gesagt. Kein „Geh Frauen nicht so schnell hinterher“, kein „Pass auf, ob sich jemand unwohl fühlt, und schau, ob du helfen kannst“. Dabei wäre das nicht so viel verlangt. Wir müssen in der Tat auch über Männer reden - wir müssen mit ihnen reden.

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