Treffen in Wien

Kurz fordert "Korrekturmechanismus" für Impfstoffverteilung in EU

Vier in Wien, zwei per Video: sechs EU-Regierungschefs besprechen das Thema Impfstoff-Verteilung.
Vier in Wien, zwei per Video: sechs EU-Regierungschefs besprechen das Thema Impfstoff-Verteilung.APA/GEORG HOCHMUTH
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Die Ministerpräsidenten Bulgariens, Tschechiens und Sloweniens beraten sich in Wien. Per Video sind Lettland und Kroatien zugeschaltet. Man wolle keine Schuldzuweisungen, aber einen Mechanismus finden, um mögliche Ungerechtigkeiten zu korrigieren. Es soll eine Videokonferenz mit den EU-Spitzen geben.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Dienstag mit fünf EU-Amtskollegen über das Thema Impfstoff-Verteilung beraten. Andrej Babiš (Tschechien), Janez Janša (Slowenien) und Bojko Borissow (Bulgarien) nahmen persönlich an einer Unterredung im Wiener Kanzleramt teil, Andrej Plenković (Kroatien) und Krišjānis Kariņš (Lettland) beteiligten sich über eine Videoschaltung. Die Regierungschefs fordern einen Korrekturmechanismus und pochen auf die ursprüngliche Entscheidung, zeitgleich und nach Bevölkerungsschlüssel die Impfstoffe in den EU-Ländern zu verteilen.

Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, sondern um das Lösen eines Problems, erklärte Sebastian Kurz zum Auftakt der Pressekonferenz am Dienstagnachmittag. Alle Mitgliedsstaaten sollen ihren Anteil der Impfstoffe erhalten - zur selben Zeit, so habe es EU-Ratspräsident Charles Michel im Jänner versprochen. Die Situation derzeit sei aber eine andere.

Österreich liege im Mittelfeld, sei also nicht so betroffen. Wie es dazu gekommen ist, dass etwa Malta deutlich über dem Schnitt und andere Länder wie Bulgarien deutlich darunter liegen, sei mittlerweile geklärt. Man stehe in gutem Kontakt mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Michel. „Hat dieses System, das hier geschaffen wurde, die richtigen Ergebnisse geschafft?“ Hier sei die Antwort „klar Nein“. Es solle einen „Korrekturmechanismus" geben, damit Länder wie Bulgarien nun aufholen können, so Kurz. Wie genau dieser aussehen kann, werde man mit den EU-Spitzen besprechen. Eine Möglichkeit wären die zehn Millionen vorzeitig gelieferten Impfdosen von Biontech/Pfizer, sagte von der Leyen am Dienstag.

Der Bundeskanzler warnt vor weiterer Ungleichheit im Impftempo in der EU: „Denn es bringt auch uns in Österreich nichts, wenn ein Nachbarland von uns betroffen ist“, sagte Kurz. Man möge an all die Auswirkungen in Sachen Reisefreiheit und Tourismus denken. Er äußerte sich nicht konkret auf eine Frage der Austria Presse Agentur, ob auch Österreich zugunsten der benachteiligten Länder verzichten könnte. Er räumte ein, dass Länder "wenig Freude haben, etwas abzugeben"

Bulgariens Premierminister Bojko Borissow, er hat in zwei Wochen Parlamentswahlen in seinem Land zu schlagen, betonte in seinem Statement bei der Pressekonferenz, man habe „immer an die europäische Solidarität“ geglaubt. Die Zahlen würden zeigen, dass die Hersteller nicht nur die Verträge nicht erfüllen, sondern es habe auch Verstöße gegen die Prinzipien der Verteilung gegeben, die man gemeinsam beschlossen habe. Bulgarien liegt im Impf-Ranking der Impfungen pro Kopf im EU-Vergleich am letzten Platz. Irgendwo in der Hierarchie gebe es eine Ungerechtigkeit in der Verteilung. Das müsse korrigiert werden, damit nicht noch mehr Länder auf chinesische und russische Impfstoffe zurückgreifen werden.

Der slowenische Ministerpräsident Janez Janša warnt vor einer politischen Krise, sollte die Ungleichheit der Verteilung nicht korrigiert werden. Denn selbst EU-Staaten, die überdurchschnittlich viel verimpfen können - wie auch Slowenien - könnten davon nicht profitieren, wenn Nachbarländer deutlich unter dem EU-Schnitt liegen. Die Initiative von Österreichs Kanzler Kurz samt offenem Brief an die EU-Spitze sei zur richtigen Zeit gekommen. „Wir haben die Europäische Union, um dort zu agieren, wo man gemeinsam Stärker ist. Aber die Vereinbarungen sind auch einzuhalten“, so Janša. Slowenien übernimmt den EU-Vorsitz in der zweiten Jahreshälfte. Der Ministerpräsident forderte auch eine Offenlegung der EU-Verträge mit den Impfstoffherstellern, damit "noch rechtzeitig repariert werden kann, wenn mit diesen Verträgen etwas nicht stimmt". 

Andrej Babiš, der tschechische Premierminister, dankte Kanzler Kurz für seinen „Mut“, das Problem in der EU anzusprechen. Es sei gut, dass die EU-Spitze zugesagt habe, eine Videokonferenz zu organisieren, wo die Vorwürfe der sechs Regierungschefs direkt besprochen werden sollen. Man müsse den Weg zurück zur gerechten Verteilung nach Bevölkerungsschlüssel finden.

Brief an die EU

Die fünf Regierungschefs hatten am Wochenende in einem gemeinsamen Brief auf die Ungleichverteilung hingewiesen und Beratungen der EU-Staats- und Regierungschefs gefordert. In dem Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel berichteten die Premiers, sie hätten "in den vergangenen Tagen entdeckt", dass die Lieferungen der Impfstoffdosen durch die Pharmafirmen nicht laut dem Bevölkerungsschlüssel erfolgen.

"Wenn dieses System so weitergeht, würde das bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter den Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen. So würden einige in wenigen Wochen die Herdenimmunität erreichen können, während andere weit zurückblieben", beklagten die ursprünglich vier Regierungschefs, denen sich später auch der kroatische Premier Plenković anschloss. "Aus unserer Sicht widerspricht das nicht nur unserer Vereinbarung, sondern auch dem Geist der europäischen Solidarität."

EU-Gipfel soll offene Fragen klären

Vom Europäischen Rat war bisher keine offizielle Stellungnahme zu dem Schreiben erhalten. EU-Ratspräsident Charles Michel habe den Brief von Kurz und den anderen Regierungschefs erhalten, hieß es am Dienstag aus EU-Kreisen. Während des EU-Gipfels werde die Koordination in der Coronavirus-Krise darunter die epidemiologische Lage sowie die Impfsituation erneut auf der Tagesordnung der 27 EU-Staats- und Regierungschefs stehen.

Kurz hatte die Impfstoffverteilung am Freitag in einer Pressekonferenz thematisiert und den Verdacht von intransparenten Nebenabsprachen einzelner Mitgliedsstaaten mit Pharmafirmen geäußert. Diese Vermutungen stellten sich jedoch als haltlos heraus. Vertreter mehrerer Mitgliedsstaaten, darunter Deutschlands, sowie die EU-Kommission wiesen darauf hin, dass die Regierungen ein System zur Weitergabe von nicht abgerufenen Impfstoffdosen vereinbart hätten.

Der Vertreter der EU-Kommission in Wien, Martin Selmayr, betonte am Montagabend in der "ZiB2", dass Österreich "alles richtig gemacht" und genauso viele Dosen erhalten habe wie ihm nach dem Bevölkerungsschlüssel zustehe. Das von Kurz als "Basar" kritisierte System sei von den 27 Mitgliedsstaaten beschlossen worden. "Alle Entscheidungen sind von allen gebilligt worden", unterstrich er.

"Ich hoffe, dass der Appell des Bundeskanzlers eine große Solidaritätsaktion für Länder wie Lettland oder Bulgarien auslöst", fügte Selmayr hinzu. "Wenn dabei herauskommt, dass wir wieder zu dem (ursprünglich beschlossen, Anm.) Schlüssel zurückkommen, dann hat diese ganze dramatische Entwicklung vielleicht etwas Gutes."

(APA/klepa)

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