Mein Freitag

Der Wind bleibt an den Ohren hängen

„Ist Ihnen auch so kalt?“
„Ist Ihnen auch so kalt?“imago images/Sabine Gudath
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Simple Gespräche mit Fremden fallen zunehmend Slapstick-artig aus.

Man wird wunderlich, wenn man keine anderen Menschen trifft“, sagt die Freundin und es ist klar, dass Familienangehörige für sie nicht in die Kategorie „andere Menschen“  fallen. Sie hat recht. Simple Gespräche mit Fremden fallen zunehmend Slapstick-artig aus. „Ist Ihnen auch so kalt?“ fragt mich ein Verkäufer auf dem Markt. „Ja, aber nur bei den Ohren“, sagte ich. Und er: „Vor zwei Wochen habe ich nicht so gefroren“, und wir nicken einander sehr ernsthaft und dankbar zu, als wären wir einer großen Sache auf die Spur gekommen.

Am Nebenstand fragt eine ältere Dame, ob der Kuchen glutenfrei ist. „Ja“, sagt der Verkäufer. „Sind Sie sicher?“, fragt die Dame. „Ja“, sagt er. „Wissen Sie, ich bin allergisch“, sagt sie. Keine Antwort. Dann erzählt sie ihm ihr halbes Leben. Sie trägt Maske, Handschuhe, ein Kostüm, feine Schuhe. Sie ist gekleidet wie für einen Bummel durch den Ersten. Diese Eleganz im falschen Bezirk und ihre Einsamkeit können einen aus der Fassung bringen. Man wird nicht nur wunderlich, man neigt auch zur Rührung, wenn man lang keine anderen Menschen trifft.

Eine Kollegin erzählt, dass sie nun notgedrungen Frieden mit ihrer lebenslangen Spaziergeh-Abneigung gemacht hat. Als Jugendliche lernte sie, Familienspaziergänge abzulehnen, „erst ab 50“ ging es dann langsam wieder. „Ich liebe meine Familie, aber soll ich deshalb mit ihnen durch den Wald hatschen? Nein.“ Nun spaziert auch sie, um Menschen zu treffen und reden zu können.

Das wird uns bleiben, das Gehen und Reden, manche haben schon früher auch ihre beruflichen Besprechungen so abgehalten. Das hilft auch jenen, die ein längeres Gespräch von Angesicht zu Angesicht als Belastung empfinden. Seitwärts redet es sich oft besser.

Bleibt nur die Sache mit dem Tempo. Zu langsam zu gehen, macht unruhig, geht man flott, sagt sicher jemand: „Was rennst denn so?“ Das Herz sollte ein bisschen schneller schlagen, dann passt es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2021)

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