Sicherheitsforschung

Cybergewalt: "Das hinterlässt keine blauen Flecken"

Die Presse/Clemens Fabry
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Gewalt über digitale Medien betrifft enorm viele, aber das Phänomen ist wenig erforscht. In Wien untersuchen Wissenschaftlerinnen Cybergewalt gegen Frauen durch Partner oder Expartner – anonymisiert und geschützt.

Es ist nichts Neues, dass gewalttätige Personen technische Hilfsmittel suchen, mit denen sie ihre Opfer unterdrücken und zermürben. So erzählt eine Betroffene, dass der Mann stündlich den Wecker stellte, um die Frau mit Schlafentzug zu foltern. „Auch das war ein technisches Hilfsmittel – in Zeiten vor dem Internet. Aber durch die Möglichkeiten im Cyberraum ist das Phänomen komplexer geworden“, sagt Sandra Messner vom Zentrum für Sozialforschung und Wissenschaftsdidaktik (ZSW) in Wien. Sie untersucht mit ihrer Kollegin Andrea Hoyer-Neuhold unter der Leitung von Magdalena Habringer von der FH Campus Wien, welche Dimensionen häusliche Gewalt heute durch das Internet und durch moderne technische Hilfsmittel annimmt.

„Cybergewalt ist so vielseitig. Wir konzentrieren uns auf den Beziehungskontext, auch aus geschlechterspezifischer Perspektive“, sagt Habringer. Die Finanzierung der Forschungsförderungsgesellschaft FFG kommt für das Projekt „(K)ein Raum: Cybergewalt gegen Frauen in (Ex-)Beziehungen“ aus dem Kiras-Programm für Sicherheitsforschung.

Drohen, Bloßstellen, Verfolgen

Alle Übergriffe, die ein Partner oder Expartner durch technische Geräte oder digitale Hilfsmittel ausübt, gelten als Cybergewalt. Dazu gehören das Versenden von bedrohlichen Nachrichten, Bloßstellen in Sozialen Medien, Verfolgen über GPS-Tracking, unerlaubte Zugreifen auf Accounts und Erstellen von Fake-Profilen sowie das Verbreiten intimer Bilder im Internet oder die Androhung dessen. „Cybergewalt in Beziehungen ist oft sehr sexualisiert konnotiert“, sagt Hoyer-Neuhold.

Studien in den USA zeigen, dass 73 Prozent aller jungen Männer und Frauen mindestens einmal im Leben von Cybergewalt durch den Partner oder Expartner betroffen sind. „Wir wissen aus dem Beratungsbereich, dass Frauen unter massiveren Formen leiden als Männer. Sie normalisieren die Bedrohung länger und holen später Hilfe. Also ähnlich wie bei Offline-Gewalt“, sagt Messner.

Während bei der physischen Gewalt die Flucht vor dem Täter der Betroffenen helfen kann, ist es bei Cybergewalt noch schwieriger, den Gefährdern zu entkommen. „Deshalb heißt das Projekt auch ,Kein Raum‘, weil die Bedrohung über den physischen Raum hinausgeht“, betont Hoyer-Neuhold, die auch an der Uni Wien forscht.

Abschotten ist keine Option

Es ist ja keine Option, dass die Bedrohte auf Handy, Tablet oder Facebook verzichtet, um sich abzuschotten. Erstens ist das kaum machbar und zweitens gesellschaftspolitisch verrückt, wenn die Frauen so aus dem digitalen Raum verdrängt werden.

„Man muss einen Schutz schaffen, der vergleichbar ist mit dem Betretungsverbot: Da ist es nicht die Frau, die flüchten muss, sondern der Gefährder, der nicht mehr die Wohnung betreten darf“, sagt Messner.

Mehr Sensibilisierung gefragt

Die Forscherinnen untersuchen nun konkrete Formen und Auswirkungen des Phänomens und was Betroffene und ihr Umfeld dagegen tun können. Welche Rolle spielen dabei die Justiz, Polizei, NGOs und Beratungsstellen?

„Es herrscht oft zu wenig Sensibilisierung“, sagt Habringer. Wenn eine Frau erzählt, dass ihr Expartner überall dort auftaucht, wo sie hingeht, wird womöglich an einen Verfolgungswahn der Betroffenen gedacht. Aber wenn das Thema Cybergewalt stärker bewusst ist, kommen die potenziellen Helfer eher drauf, dass der Gefährder vielleicht Spyware (Spionagesoftware) auf dem Handy der Frau installiert hat.

„Spyware ist auch ein Grund, warum in Beratungsszenarien das Smartphone nicht im Raum dabei sein soll. Und ein Grund, warum wir unsere Interviews nicht online durchführen können, sondern nur im geschützten Raum face to face“, sagt Messner. Immerhin werden technische Hilfsmittel zur Überwachung und Gefährdung der Partner immer billiger und „userfreundlicher“. Habringer sagt: „Man muss kein Informatikprofi sein, um das anzuwenden.“

Jede Person kann helfen

Die Forschung basiert nun auf ausführlichen Interviews mit strengem Sicherheitskonzept: zum Schutz der Betroffenen und der Forscherinnen. „Uns ist klar, dass hier sehr mutige, starke Frauen mitmachen. Alle Befragungen werden anonymisiert und vertraulich behandelt“, so Habringer.

Nach Auswertung der Perspektive der Betroffenen sowie der Justiz, Exekutive und Beratungsseite will das Team mit einem IT-Experten auch ein Konzept für eine Hilfe-App erstellen. Tipps und Tricks für Betroffene können jedenfalls nicht hier in der Zeitung beschrieben werden, weil auch Gefährder mitlesen und dies für ihre Zwecke ausnutzen können.

„Außerdem gibt es keine allgemeine Handlungsanweisung, weil jede Gewaltgeschichte komplex ist“, sagt Habringer. Gibt es Kinder in der Beziehung? Konsumiert der Gefährder Drogen oder Alkohol? Besitzt er Waffen? Die Strategie und die Hilfe werden stets individuell angepasst.

Und Hoyer-Neuhold betont: „Eine einzige unterstützende Person im Umfeld kann viel bewirken.“ Es ist wichtig, die Betroffene ernst zu nehmen, auch wenn es bei Cybergewalt keine Wunden oder blauen Flecken gibt als Beweis für ihre Gewalterfahrung.

LEXIKON

Cybergewalt ist seit 2016 im Strafgesetzbuch (§ 107c) mit dem Schlagwort „Cybermobbing“ festgehalten. Seit dem Gesetzespaket „Hass im Netz“ können Betroffene noch konkreter gegen Gefährder vorgehen. Doch es gibt weiterhin viele Formen von Cybergewalt, die nicht strafrechtlich verfolgbar sind.

Beratung für Betroffene gibt es gratis und anonym österreichweit unter 0800/222 555 (Frauenhelpline gegen Gewalt). Auch bei den Projektpartnern wendepunkt.or.at (02622/825 96), gewaltschutzzentrum-noe.at (02742/319 66) und frauennotruf.wien.at (01/717 19).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2021)

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