Literatur

"1984.4": Die Rückkehr des Großen Bruders

Der vielseitige Autor Philip Kerr, bekannt für seine Bernie-Gunther-Serie, starb 2018 viel zu früh.
Der vielseitige Autor Philip Kerr, bekannt für seine Bernie-Gunther-Serie, starb 2018 viel zu früh.(c) Ullstein Bild/EFE/Alberto Estevez
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Mit „1984.4“ hat der für historische Krimis bekannte Philip Kerr eine Hommage an George Orwells Klassiker verfasst. Das Buch ist posthum erschienen, es fehlt die Wucht des Originals.

George Orwells im Jahr 1948 verfasstes „1984“ gilt bis heute als eines der einflussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts. Der alles sehende und alles wissende „Große Bruder“ wurde zum Synonym des allmächtigen Überwachungsstaats. Kurz nach Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump etwa erreichte das Werk angesichts von Trumps laxem Umgang mit Fakten in diversen Bestsellerlisten Platz eins. Aber auch in trashigen Reality-TV-Formaten wie „Big Brother“ fand das Buch seinen popkulturellen Niederschlag.

Der britische Autor Philip Kerr – bekannt vor allem durch seine Serie rund um Kultfigur Bernie Gunther, der in der Nazi- und Nachkriegszeit ermittelt – hat drei Jahre vor seinem überraschenden Tod 2018 eine Hommage an Orwells Meisterwerk verfasst, die nun posthum veröffentlicht wurde. Kerr hatte dabei keine simple Kopie im Sinn, sondern wollte sein Buch als ein in einem Paralleluniversum entstandenes Werk verstanden wissen, das Orwells großem Roman ähnle, gleichzeitig aber sehr anders sei.
Beides ist ihm mit „1984.4“ tatsächlich gelungen, an die Wucht und Tiefe des Originals kommt Philip Kerr aber nicht heran.

Kein Platz für alte Menschen. Worum es in Kerrs Buch geht? Alle Menschen, die vor „1984.4“ geboren wurden und nun über fünfzig sind, müssen sich einem vollständigen Körperscan unterziehen, um präzise vorhersagen zu können, wann jeweils der geistige Verfall einsetzt. Der „Plan zur freiwilligen Euthanasie“ (PFE) legt fest, dass all jene, die ihr errechnetes Ablaufdatum überschritten haben, in den „Ruhestand“ – also den Tod – gehen sollen: „Auf diese Weise können die Menschen Vorsorge für ihren eigenen würdigen Abschied aus dem Leben treffen.“

In Wirklichkeit geht es aber darum, dass demente und kranke Menschen für die Gesellschaft nicht leistbar sind und daher verschwinden müssen. Sie belasten das Gesundheitssystem und verursachen immense Kosten.
Jene Alten, die sich nicht daran halten, werden gnadenlos vom „Senior Service“ (SS) eliminiert. Für die Tötung der alten Menschen beschäftigt das Senior Service sogenannte Ruhestandsvollstrecker. Rekrutiert werden Jugendliche, die – ähnlich wie in einem freiwilligen sozialen Jahr – Dienst für die Gesellschaft versehen. Eine davon ist die 16-jährige Florence, die zu Beginn des Buches keine Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihrer blutigen Tätigkeit hat. Alte Menschen jagen und töten, das ist ganz normal. Doch als sie zufällig Eric kennenlernt und sich in diesen verliebt, beginnt ihr Weltbild zu wanken.

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