Der transparente Bürger-Staat

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Hat Herr Nachbar schon seine Steuererklärung gemacht? Schwedens Öffentlichkeit hat Akteneinsicht.

Als die Internetseite „Wikileaks“ nach der Veröffentlichung der Afghanistan-Dokumente in den Sucher der US-Behörden kam, verlagerte sie ihren Hauptserver nach Stockholm. Der schwedische Herausgeberschutz ist so streng, dass ein Einschreiten gegen die Enthüller wenn nicht unmöglich, so doch sehr kompliziert wäre. Das Öffentlichkeitsprinzip ist ein schwedisches Grundrecht seit dem 18. Jahrhundert, jeder Akt der öffentlichen Verwaltung ist prinzipiell für jedermann einsehbar. Auch „Whistleblower“ sind geschützt. Wenn geheime Informationen nach außen dringen, macht sich nicht der strafbar, der sie verbreitet hat, sondern jener, der nachforschen wollte, aus welcher Quelle sie stammen.

Die Akteneinsicht ist unkompliziert. So können Journalisten die Korrespondenz des Premiers ebenso lesen wie ein neugieriger Nachbar den Kaufvertrag des zugezogenen Hausbesitzers. Jedes Jahr, wenn die Steuererklärungen fertig sind, veröffentlicht die Boulevardpresse Listen mit den „reichsten Schweden“. Ein paar Computerklicks reichen, um herauszufinden, was jeder beliebige Einwohner verdient. Der öffentliche Einblick kann aber auch missbraucht werden. Neonazis verschafften sich mit Hinweis auf das Öffentlichkeitsprinzip bei der Polizei Adressen, Autonummern und Passfotos von Antifaschisten und benützten ihr Wissen für Mordanschläge. Daraufhin wurde der Zugriff auf die Daten etwas eingeschränkt.

Beim EU-Beitritt kollidierte Schwedens Öffentlichkeitsmodell mit dem in Europa gepflegten Amtsgeheimnis. Welches Prinzip sich durchsetzen wird, ist noch nicht geklärt. Schwedens nächste Regierung aber kann sicher sein, dass die Akteneinsicht den Blick auf etwaige Jugendsünden frei machen wird: Nach den letzten Wahlen mussten drei Ministerinnen abtreten, weil sie ihre Fernsehlizenz nicht bezahlt oder Kindermädchen schwarz entlohnt hatten.

(Gam - "Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2010)

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