Wenigstens demonstrieren sie noch

Eine Initiative unter dem Titel »Machen wir uns stark!« demonstrierte für das Gute und Schöne. Das kann man leicht persiflieren. Oder man sieht es positiv: Im Gegensatz zur Regierung gibt es da ein Ziel.

Sie alle hatten Stimmung gemacht: Sigrid Maurer, Chefin der Hochschülerschaft, Marmeladenbaron Hans Staud, unsere Kabarettisten Florian Scheuba und Roland Düringer, ÖGB-Präsident Erich Foglar, Moderatorin Barbara Stöckl, Wirtschaftswarner Stephan Schulmeister sowie Ariel Muzicant, Chef der Israelitischen Kultusgemeinde. Unter dem Motto „Machen wir uns stark“ versammelte Willi Resetarits, Vaterfigur der politisch Besorgten, am Samstag eine bunte, zahlenmäßig überschaubare Koalition zur Kundgebung auf dem Wiener Heldenplatz, der schönsten Kulisse für Demonstrationen jedweder Art.

Einige Anliegen der Aktivisten lesen sich in ihrer Grundsatzerklärung gut und edel: „Österreich ist schön, reich und ziemlich bunt. (...) Ändern wir doch die Dinge, die schieflaufen: in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt und beim Zusammenleben.“ Klingt vernünftig. Dann wird es interessant: „Wir brauchen hier niemanden, der Menschen gegeneinander aufwiegelt. (...) Wir lassen uns auch nicht einreden, dass die Opfer der Finanzkrise an ihrem Schicksal selbst schuld sind. Diese Hetze vergiftet uns nur.“ Der Hinweis auf die Opfer der Finanzkrise ist lächerlich: Wer hat gesagt, dass die Opfer der Finanzkrise selbst schuld sind? Kein Mensch.

Die Forderungen der Aktivisten sind vielfältig: etwa nach einem „radikalen Kurswechsel“ in der Asyl- und Fremdenpolitik. So radikal muss er gar nicht sein, ein eigenes Regierungsamt „für Diversität und Integration“ reiche vorerst. Unterschreiben kann man das Verlangen nach einer „mutigen Bildungspolitik, die die Vielfalt der Menschen“ anerkennt. Soll heißen: eine „kräftige“ Erhöhung des Bildungsbudgets. Weiters wollen sie eine „gerechtere Verteilung des Wohlstands“. Nein, damit ist nicht die Senkung einer der welthöchsten Steuerquoten gemeint. Und dann wäre da noch „die Beseitigung aller rechtlichen und informellen Barrieren beim Zugang zu Politik, Medien, Wirtschaft und Kultur“. Der ÖGB könnte beginnen und den Arbeitsmarkt noch 2010 für EU-Bürger öffnen lassen.

Warum machte sich eigentlich keiner gegen den Klimawandel stark? Was wurde aus dem Weltfrieden? Nein, die üblichen Unverdächtigen mussten ihr Feld doch eingrenzen– Verzeihung, das war ein böses Wort!

Aber um einen anderen Satz der politisch Starken zu zitieren: „Zyniker (...) waren jetzt lange genug am Wort.“ Gut, warum die ganze Aktion nicht von ihrer positiven Seite sehen: Immerhin demonstrieren sie noch! Wenn Tausende für politische Ziele auf die Straße gehen, wenn in Wien ein Anwalt im ersten Bezirk eine Partei gründet, wenn ein paar Unternehmer eine Online-Börse (www.respekt.net) für gesellschaftspolitische Projekte gründen, zeigt das: Die Regierungsparteien können Österreich nicht einfach unter die (budgetpolitische) Käseglocke stellen. Wenn jetzt noch Aktivisten für unsere Kinder, also für Budgetsanierung und/oder gegen Geldverschwendung à la Wiener SPÖ Stimmung machten, könnte einem der Zynismus ganz abhandenkommen. Denn wir ahnen es: Es gibt weniger Politikverdrossenheit denn Parteipolitikverdrossenheit.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der Verteilungskampf spitzt sich zu
Politik

Der Verteilungskampf spitzt sich zu

In Wien wird am Samstag dagegen demonstriert, dass die Regierung im Sozial- und Bildungsbereich spart. Die Regierungskommission warnt: Längerfristig werden noch höhere Bundeszuschüsse zu den Pensionen nötig.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.