Angststörungen, Selbstverletzungen und Suiziddrohungen nehmen zu, das Gefühl der Einsamkeit steigt: Nach einem Jahr Pandemie zeigen sich bei immer mehr Kindern und Jugendlichen die psychischen Folgen des Ausnahmejahres.
Schon Kindergartenkinder haben häufiger Bauchschmerzen oder können nicht einschlafen. Unter Jugendlichen nehmen Selbstverletzungen und Suiziddrohungen zu. Und Kinder aus armutsgefährdeten Familien leiden besonders unter den Corona-Einschränkungen: Zwei aktuelle Studien zeigen deutlich, dass mit Fortdauer der Pandemie auch die Zahl der Kinder mit psychischen Problemen weiter gestiegen ist.
Ängste
Fünfzehn Prozent der Kinder zwischen drei und zwölf Jahren weisen mittlerweile Symptome auf, die auch klinisch relevant sind: Vor einem Jahr, während des ersten Lockdowns, lag dieser Wert noch deutlich niedriger bei drei Prozent.
Das zeigt die zweite Befragungswelle für eine wissenschaftliche Studie in Tirol, die das psychische Wohlergehen von Kindern im Lockdown beobachtet. 703 Familien haben teilgenommen, um 280 mehr als bei der ersten Befragung im März 2020. Bei der zweiten Befragung (im Dezember und Jänner) gaben doppelt so viele Kinder wie im ersten Lockdown an, dass sie „besorgt oder ängstlich“ seien. Die Zahl der Angst- und Traumasymptome bei Kindern ist dabei laut Studie seit März 2020 um 60 Prozent gestiegen.
Kathrin Sevecke, Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, ist angesichts dieser Ergebnisse „alarmiert“: Hier würden „belastete und teilweise psychisch kranke Kinder“ heranwachsen. Sevecke appelliert daher an die Politik, bei der Planung künftiger Maßnahmen die seelischen Folgewirkungen bei Kindern zu bedenken. Die Schulöffnungen hätten zwar leichte Verbesserungen gebracht – die psychischen Belastungen aber dennoch nicht ausgleichen können.
Suiziddrohungen
Alarmierend ist die Lage in den mittlerweile überfüllten Kinder- und Jugendpsychiatrien: Hier verzeichne man „ganz viele Krisenaufnahmen“. Zwei Drittel der akuten Fälle, etwa selbstverletzendes Verhalten oder Suiziddrohungen, seien auf die Pandemie zurückzuführen. „Wir können alle akuten Fälle behandeln, für längere Klinikaufenthalte reichen die Kapazitäten derzeit nicht“, sagt Sevecke.
Schlafstörungen
Schon für Kindergartenkinder bleibt der Pandemiealltag nicht ohne Folgen: In dieser Altersgruppe haben sich somatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Schlafstörungen mehr als verdoppelt.
Bei den Älteren zeigen nun 45 Prozent mehr Kinder Aufmerksamkeitsprobleme – bei Buben häufiger in Form von aggressivem Verhalten oder Konzentrationsstörungen. Mädchen wiederum berichten eher über Schlafstörungen.
Armut
Einen „dramatischen Befund“ hat die Volkshilfe Österreich am Dienstag präsentiert: Sie hat – nach dem Sommer 2020 – erneut 100 armutsgefährdete Familien befragt. Dabei zeigt sich, dass sich die Lebensqualität der Kinder „eklatant verschlechtert hat“. Doppelt so viele Eltern wie noch im Sommer (21 % der Befragten ) beurteilen die Lebensqualität ihrer Kinder nun mit einem „Nicht Genügend“, nur fünf Prozent geben ihr ein „Sehr gut“.
„Noch nie“ hätten so viele Familien „händeringend“ bei der Volkshilfe um Unterstützung gebeten, sagt Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger. „Wie stark die Kinder und Jugendliche durch die Krise erfasst wurden, ist beispiellos.“ Ein befragtes Kind sprach von der „Toastbrotzeit“: jene letzten Tage im Monat, in denen das Geld nur noch für Toastbrot reiche. Die finanziellen Probleme ihrer Eltern stellen für die Kinder eine weitere Belastung dar, 20 Prozent machen sich (auch) darüber Sorgen.
Einsamkeit
Fast alle Kinder leiden unter den eingeschränkten sozialen Möglichkeiten, jene aus ärmeren Familien aber ganz besonders, da sie mangels finanzieller Möglichkeiten ohnehin oftmals ausgeschlossen sind. Durch die Coronakrise sind sechs von zehn Kindern (61 %) aus armutsgefährdeten Familien einsamer als vor Corona. 57 Prozent der Eltern schätzen ihre Kinder jetzt auch als trauriger ein.
Auch fast die Hälfte der armutsgefährdeten Kinder (48 %) sorgt sich, dass sie durch die Pandemie ihre Freunde verliert – nur schulische Sorgen (49 %) wurden häufiger genannt.
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(mpm/APA )