Gabriele Hasmann AM Hof vor dem Hotel Hyatt
Grätzelwalk

Die mörderische Seite der Wiener Innenstadt

Schaurige Geschichten, seltsame Häuser, schöne Plätze: Mit Autorin Gabriele Hasmann auf den Spuren meist längst vergessener Verbrechen im ersten Wiener Bezirk.

„Es ist kein gutes Haus“, meint Gabriele Hasmann und deutet auf die Nummer 12 in der Augustinerstraße. „Ich bin ja nicht so sensibel wie andere, aber da drin, nein“, sagt die Autorin mehrerer Bücher zum Thema Verbrechen und Spuk in Wien über das 1313 erwähnte „Alte Harnischhaus“. Die Geschichte lässt einen tatsächlich erschauern: Hier befand sich die Stadtwohnung der „Blutgräfin“ Erzsébet Báthory, einer Serienmörderin, die an ihren zahlreichen Wohnorten 650 junge Mädchen zu Tode gefoltert haben soll. 1611 wurde ihr der Prozess gemacht, nachdem sie sich auch an adeligen Mädchen vergangen hatte, nicht nur am „niederen Volk“.

Mordschauplatz Kärtner Straße 17
Mordschauplatz Kärtner Straße 17Anna Allkämper

Unergründliche Schauplätze

Die Innere Stadt zählt – mit der Leopoldstadt – zu den Bezirken mit sehr hoher Verbrechenszahl. Was sich leicht erklärt: Es sind auch die ältesten. Wobei natürlich nicht alle Kriminalfälle so abscheulich sind wie der erwähnte. „Es gibt schon Fälle, für die ich ein gewisses Verständnis habe, etwa wenn sich arme Frauen als Heiratsschwindlerinnen versucht haben“, meint die in Baden bei Wien lebende Autorin. Ihre Infos bezieht sie aus Quellen wie dem Kriminalmuseum im zweiten Bezirk, aus der Datenbank Anno „und von Informanten, oft älteren Menschen“.

Ihr Lieblingshaus ist die Kärntner Straße 17: 1878/79 von Gustav Korompay als Warenhaus Wahliss geplant, ist es reich mit weiß-blau ornamentierten Kacheln geschmückt. Zuvor stand hier das Gasthaus Zum wilden Mann, in dem einst Casanova zu Gast gewesen war – und in einer Brandrede für das Condom als Mittel gegen die Syphilis aufrief. Kurz vor dem Abriss des alten Hauses wurde 1878 Kathi Balogh tot in ihrem Zimmer Nr. 21 aufgefunden – das Haus wurde als inoffizielles Bordell geführt. Verdächtigt und inhaftiert wurde ihre Kollegin Katharina Steiner, erst später stellte sich der Mörder. „Er habe die Frau aus Lebensüberdruss besucht, sie vergiftet und aus Angst, als Mörder entlarvt zu werden, erwürgt“, erzählt Hasmann vom wirren Motiv.

Seltsam auch die Geschichte vom Geldbriefträger Johann Guga, der 1876 am Graben 31 „erschossen, erwürgt und erstochen wurde: Pleitier Enrico von Francesconi wollte beim Raubmord auf Nummer sicher gehen“, sagt Hasmann. Das Rothschild-Haus brannte 1945 ab und wurde durch einen Neubau ersetzt.

Tatort Augustinerstraße 12
Tatort Augustinerstraße 12Anna Allkämper

Würstel und (Selbst)Justiz

Dass am Hohen Markt Würstel verkauft werden, hat Tradition – vielleicht, weil hier das Gerichtsgebäude stand und zuvor die um 1311 erwähnte Schranne, auf der Verbrecher „ausgestellt“ wurden. „1904 ging der Würstelverkäufer Josef Bruckner mit seinem Konkurrenten Johann Bachl extrem hart ins Gericht: Er erschoss ihn. Und dann sich“, erzählt die Autorin. Auch Am Hof 2 wurde Selbstjustiz betrieben – allerdings an einem Minister. Am Platz des heutigen Hotels Hyatt, Am Hof 2, 1913 von Ernst Gotthilf und Alexander Neumann für die Länderbank geplant, stand zuvor das Kriegsministerium der Monarchie. 1848 wurde Theodor Graf Baillet de Latour an einem Gaskandelaber vor dem Haus erhängt, weil er ein Bataillon zum Kampf gegen aufständische Ungarn entsenden wollte. Hasmann: „Sieben Stunden lang gelang keine Bergung. Und: Es war der Beginn des Wiener Oktoberaufstands.“ An der Uni Wien erinnert eine Plakette an einen weiteren politisch motivierten Mord: Professor Moritz Schlick wurde 1936 auf der Philosophenstiege erschossen. „Nachdem ihn der Täter jahrelang bedroht hatte. Und der sich danach rühmte, dem Nationalsozialismus einen Dienst erwiesen zu haben“, weiß Hasmann. Wirkt sich die Beschäftigung mit den menschlichen Abgründen nicht negativ aus? Hasmann verneint: „Ich bin ein gnadenlos positiver Mensch. Und sehr neugierig.“

ZUM ORT, ZUR PERSON

Valduna (Waldbach) wurde der Wienfluss von den Kelten genannt, im Gebiet des ersten Bezirks errichteten die Römer ihr Lager Vindobona, als Stadt entwickelte sich der Ort ab dem 12. Jahrhundert. Heute wohnen hier 16.000 Menschen in zum Teil jahrhundertealten Häusern und Gassen. Wohnungen im Bestand kosten rund 5718 Euro/m2, im Neubau Erstbezug 6823 Euro/m2.

Gabriele Hasmann ist als Autorin tätig, zuletzt veröffentlichte sie mit Sabine Wolfgang „Verbecherisches Wien“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2021)

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