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Koen Lenaerts: "Technik darf stets nur Hilfsmittel sein"

Koen Lenaerts, Präsident des Gerichtshofes der EU in Luxemburg.
Koen Lenaerts, Präsident des Gerichtshofes der EU in Luxemburg.Michel Zavagno / Blitz Agency
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Der Mensch muss die Technologie beherrschen, nicht umgekehrt, er muss den Rechtsstreit entscheiden, nicht der Algorithmus, mahnt Koen Lenaerts, der Präsident des Gerichtshofes der EU in Luxemburg.

Herr Präsident, der deutsche Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach schreibt in einem seiner Essays: „Die Justiz wirkt zu träge, zu vorsichtig. Aber immer, wenn sie sich anders verhält, passieren Katastrophen.“ Wie kann der Richter mit dem rasanten technologischen Fortschritt mithalten, ohne sich der Gefahr auszuliefern, Unrecht zu sprechen?

Koen Lenaerts: Trägheit und Vorsicht muss man klar voneinander trennen, das sieht von Schirach sicherlich auch so. Trägheit ist in der Justiz weder erforderlich noch wünschenswert. Im Gegenteil, „justice delayed is justice denied“, was frei übersetzt bedeutet, dass die Verzögerung der richterlichen Beurteilung einer Rechtsverweigerung gleichkommt. Vorsicht hingegen, nicht im Sinne von Zögerlichkeit, sondern von vernunftgeleiteter Besonnenheit, ist eine Tugend, die von jeder Richterin und jedem Richter erwartet werden muss. Auch im Bereich neuer Technologien bedienen sich die Richterinnen und Richter für die Entscheidungsfindung ihres üblichen Werkzeugkastens. Eine spezifische Gefahr, Unrecht zu sprechen, sehe ich hier nicht.

In der Beurteilung der Zulässigkeit von Nanotechnologie, Genomchirurgie (Genome Editing) oder künstlicher Intelligenz erwartet die Gesellschaft vom Richter Urteile in rechtlichen Fragen, die sie selbst noch gar nicht beantwortet hat. Fühlen Sie sich manchmal vom Gesetzgeber im Stich gelassen, wenn Sie über neuartige technologische Phänomene urteilen müssen?

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