12 Jahre „Die Presse am Sonntag“

Markus Hengstschläger und Erwin Wurm: „Wir brauchen Freiraum“

Der Künstler und der Wissenschaftler: Erwin Wurm fotografiert den Genetiker Markus Hengstschläger für die Titelseite der Jubiläumsausgabe der „Presse am Sonntag“.
Der Künstler und der Wissenschaftler: Erwin Wurm fotografiert den Genetiker Markus Hengstschläger für die Titelseite der Jubiläumsausgabe der „Presse am Sonntag“.Die Presse/Clemens Fabry
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Nicht alles, was machbar ist, darf auch gemacht werden. Dieser Satz gilt für die Wissenschaft. Gilt er auch in der Kunst? Markus Hengstschläger und Erwin Wurm sprechen über die Paradoxien der Erwartungen.

Künstler und Wissenschaftler eint eines: Man erwartet von ihnen, dass sie mit ihrer Arbeit Neuland betreten. Wenn ihnen das gelingt, müssen sie sich aber häufig sagen lassen: „Was soll das? Jetzt bist du zu weit gegangen!“ Wie gehen Sie mit dieser Paradoxie um?

Markus Hengstschläger: Wenn ich als Wissenschaftler etwas wirklich Neues machen will, muss ich die Vergangenheit kennen. Und wenn ich eine neue Idee habe, ist sie oft nur dann etwas wert, wenn sie kein anderer vor mir gehabt hat. Grenzen zu überschreiten, das wird von der Wissenschaft erwartet. Wenn man dann aber über bestimmte Grenzen steigen müsste für neue wissenschaftliche Erkenntnisse, vielleicht sogar mit dem Ziel, neue Therapien zu entwickeln, kommt zu der Frage „Was soll der Mensch?“ oft der Aspekt: „Was darf der Mensch?“ Und das ist eine Frage, die mich in vielen Bereichen persönlich betrifft, sei es im Zuge der Stammzellforschung, sei es bei bestimmter genetischer Diagnostik. Denn: Nicht alles, was machbar ist, darf auch gemacht werden. Das ist also eine Gratwanderung. Vielleicht sehe ich hier sogar gewisse Parallelen zwischen Wissenschaft und Kunst.

Erwin Wurm: Markus, du sagtest, Neues entsteht nur in Bewusstsein und Kenntnis der Vergangenheit. Aber ist es in Wahrheit nicht so, dass sich Kunst mit der Gegenwart beschäftigt, wenngleich wir auf den Arbeiten und Leistungen der Vergangenheit aufbauen? Wenn man ein Kunstwerk sieht, weiß man genau, wann es gemacht worden ist, ob im Mittelalter oder im Jahr 1760. Jede künstlerische Äußerung hat eine ganz prägnante Sprache, die auch von der Geografie geprägt ist. In Skandinavien hat man im Mittelalter anders gemalt als in Italien. Das heißt, es hat sich zu jeder Zeit in jeder Gesellschaft eine Sprache entwickelt, der der Künstler Ausdruck verleiht. Wenn man jedoch versucht, diese Sprache in der Gegenwart dingfest zu machen, dann scheitert man meistens. Kurzum – es ist ein Leichtes zu sagen: „Dieses Bild ist vor 30 Jahren entstanden.“ Aber es ist sehr schwer zu definieren, welche heute die Sprache der Zeit ist. Genau das sehe ich als Aufgabe der Künstler. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Ich glaube, Kunst hat die Aufgabe, sich Freiräume zu schaffen und sich allen Erwartungen zu entziehen. Und die gab es immer, ob in aristokratischen, sozialistischen oder faschistischen Gesellschaften. Es gibt sie auch heute. Und dagegen wehre ich mich. Denn wir brauchen Freiraum, das ist unser kreatives Potenzial, es ist das, was uns erhält.

Wie manifestieren sich diese Erwartungen heutzutage?

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