Das Lächeln, Siegeszug einer mimischen Neuerung: Sukzessive rücken die Mundwinkel hoch.
Meine damalige Freundin sah gut aus, sie war immer total unverwahrlost gekleidet, allein ihr Gesichtsausdruck verweigerte sich ihrer Geschlechterrolle. Regelmäßig hielten ihr Männer vor, sie würde unfreundlich, ja angefressen in die Welt blicken. Ihre Theorie: Frauen dürfen nicht neutral schauen. Frauen sollen vielmehr fröhlich lächeln, Späße wie Lachyoga betreiben, notfalls tanzen.
Laut der Lachtheorie der Emotionsforschung erzeugen die 43 menschlichen Gesichtsmuskeln bis zu 7000 unterschiedliche mimische Ausdrücke. Nach ihrem französischen Entdecker heißt der populärste davon "Duchenne-Lächeln" wie beim willkürlichen Lächeln gehobene Mundwinkel, dazu zusammengekniffene Augen. Die Duchenne-Rate differiert nach Weltgegend. Hierzulande gelten lächelnde Menschen als gescheit, während in Russland aufs Lächeln verzichtet, wer als gebildet gelten will. In Teilen Asiens wird Lächeln überhaupt als Schwäche ausgelegt, laut Untersuchungen wirken Lächelnde in korruptionsaffinen Ländern gar unehrlich. Flugbegleiterinnen oder Call-Center-Leute übertreiben hingegen die Fröhlichkeit, doch Vorsicht, das Unterdrücken authentischer Emotionen löst Stress aus und führt zu Schlaganfällen.
Der geschlossene Mund zählte noch im 19. Jahrhundert zur Basis unseres Schönheitsideals. Nur Kinder und Säufer zeigten Zähne. Heute reißen Glücklichwirkenwollende das Maul auf. Eine Studie über US-Highschool-Fotos illustrierte diesen sozialen Wandel: Die Mundwinkel rücken (Ausnahme: die Fünfziger- und Sechzigerjahre) kontinuierlich hoch. Das betrifft auch Europa von Mona Lisa bis Heidi Klum hat sich unser Lächeln geradezu dämonisiert, obwohl Hansi Hinterseer eh dagegenhält.
Das Fotolächeln, erfunden auf Hochzeiten und an Geburtstagen, kommt auf Reisen selbst dann zum Einsatz, wenn Wetter und Laune keinen Lachanlass bieten. Als Hilfsmittel zur Erzeugung fröhlicher Gesichter stimmt man im englischen Sprachraum ein langgezogenes "cheese" an, die Deutschen rufen "Ameisenscheiße". Ich kann mir kaum vorstellen, dass meine Freundin das besonders lustig gefunden hätte.