Design

Als das Auto noch lächeln durfte

Illustration: Christine Pichler
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Das Design lässt unsere Fahrzeuge grimmig dreinschauen oder fröhlich. Jedenfalls haben sie noch ein Gesicht. Doch auch das könnte zum Auslaufmodell werden.

Autos sind ein bisschen wie wir: Sie können grantig dreinschauen oder fröhlich, aufmerksam oder gleichgültig, interessiert oder gelangweilt. Denn selbst wenn es seelenlose Maschinen sind, sie haben von ihren Schöpfern ein Gesicht mitbekommen. Rudimentär zwar nur aus Scheinwerfern und Kühlergrill für Augen, Mund und Nase, aber doch erkennbar als Gesicht mit eigenem Ausdruck – Punkti, Punkti, Strichi, Strichi, fertig ist das Autogesichti.

Eine Mimikry, die dazu führt, dass kleine Kinder Autos als Wesen wahrnehmen. Und die wohl auch der Grund ist für die exzeptionelle Karriere eines Industrieprodukts, das es, sublim codiert, zu einem Platz an unserer Seite geschafft hat: Praktisch und dienstbar, ja unverzichtbar sind viele technische Gerätschaften in unserem Alltag, aber die wenigsten sind in der Lage, uns emotional anzusprechen. Freilich nicht nur in der Verehrung, auch in der Ablehnung.

Das Pferdesubstitut

Blenden wir kurz zurück. Das Auto hat vor über 100 Jahren nicht etwa die Kutsche ersetzt, sondern das Pferd – ein Wesen aus Fleisch und Blut, mit Gefühlen und einer eigenen Wahrnehmung der Welt. Um Pferde zu ersetzen, musste das Automobil entscheidende funktionale Fortschritte bieten. Dazu zählt ganz oben die jederzeitige, umstandslose Verfügbarkeit. Pferde müssen gefüttert, versorgt, gepflegt eingestellt werden, und um ein Pferd aus dem Stall auch nur mit Zaum und Reitzeug, erst recht mit Kutsche reisefertig zu machen, das erfordert Zeit und Arbeitsaufwand, Mühe. Wenn heute der Autobesitz in Frage gestellt wird, weil es heißt: Das Ding steht ja vielleicht 23  Stunden des Tages nur herum oder wird auch tagelang, sogar wochenlang nicht gebraucht – dass man es dann doch nach Belieben nutzen kann, indem man einfach einsteigt, startet und losfährt, das ist einer der wesentlichen Gründe, warum Autos ein Erfolg wurden. Der vermeintliche Makel, dass Autos die meiste Zeit gar nicht in Betrieb sind, ist ihre eigentliche Stärke – weil sie es genau dann sind, wenn wir es wollen.

Soviel zum funktionellen Hintergrund. Der emotionale rührt woanders her. Was immer ein Auto ausstrahlt – technische Faszination, Ego-Verlängerung, Anzeige von Stand, Status und Stellung, ob authentisch oder nur vorgegeben –, es beginnt damit, dass eine Ansprache stattfindet. Als soziale Wesen suchen wir den Ausdruck in unserem Gegenüber, wir brauchen Signale, um es zu verstehen. Die Visage eines mehr oder minder kunstvoll arrangierten Blechhaufens, mit Komponenten aus Stahl in allen Walzgraden, Glas und Gummi – sie mag primitiv sein, aber ob wir sie mögen oder nicht, sympathisch finden oder das Gegenteil, das wissen wir sofort.

Mensch und Maschine

Die Vermenschlichung der Maschine folgt den Instinkten ihrer Schöpfer, die ja auch Menschen sind, und funktionalen Aspekten. Scheinwerfer sind zwar keine Augen, die sehen können, aber sie dienen unseren Augen als Sehhilfe, als Verlängerung durch die Dunkelheit der Nacht. Und so wie wir durch Mund und Nase atmen, holt sich der Motor die Frischluft und die Kühlung des Fahrtwinds an der Front, um zu funktionieren.

Es gibt Autos, die bewusst gezeichnet wurden, um eine bestimmte Regung des Betrachters hervorzurufen – wie ein Hund, der treuherzig zu schauen vermag, um Zuneigung zu bekommen, Futter, Aufmerksamkeit, ein Tätscheln. Das Kindchen-schema wird beispielsweise abgerufen, um Frauen als primäre Zielgruppe anzusprechen. Renault Twingo in seiner Urform, Fiat 500 sind äußerst erfolgreiche Um­­setzungen.

Autovisagen sind konsequenterweise auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Man muss kein Psychologe sein, um Rückschlüsse zu ziehen, wenn Autos heute zunehmend grimmig und aggressiv, mit Falkenblick in die Welt stieren. In der Tuningbranche spricht man vom „bösen Blick“, den man herkömmlichen Scheinwerfern durch ein paar Retuschen mit Blenden und Folien entlocken kann.

Augenform

Der technische Fortschritt führt den Wandel vom kugelrunden Auge zum verengten Sehschlitz fort: LED-Leuchten benötigen wesentlich weniger Bauraum, da sie erstens kleiner sind als Glühfaden-, Xenon- und Halogenleuchten und zweitens keine großen Reflektoren brauchen, um mit Lasereinsatz bis 600 Meter weit die Fahrbahn ausleuchten zu können.

Mittlerweile ist der grimmig funkelnde Blick Industriestandard geworden, wo immer ein Auto Überlegenheit und Dominanz – stellvertretend für den Menschen am Steuer – kundtun möchte. Zwei Phänomene korrespondieren damit unmittelbar: Der Siegeszug der SUVs als rollende, hochaufragende kleine Trutzburgen, die man einer feindselig gestimmten Umwelt entgegenhält, und der Niedergang der Farbigkeit. Die dominierenden Farben sind heute allesamt Nichtfarben: Schwarz, Weiß oder Grau in allen Schattierungen. Das schwarze SUV fungiert als Einschüchterungsfahrzeug – gelenkt von einem eingeschüchterten Menschen, der darin Schutz sucht. Fröhliche Blicke auf unseren Straßen gehören deshalb schon zur Ausnahmesichtung – auf den Straßen ebenso wie auf den Trottoirs, auf denen sie sich begegnen. Nachweislich dominierten noch in den 1970er-Jahren Autolacke in den Farben Rot, Grün, Blau und Gelb: Ausdruck einer erwartungsfrohen, optimistischen Gesellschaft.

Man kann sogar vorhersagen: Der Niedergang des Autos als Fetisch, als blecherner Gefährte, als Maschine mit humanoiden Zügen – er beginnt, sobald Autos ihre Gesichter verlieren. Abermals treibt der technische Fortschritt diese Entwicklung voran: Künftige elektrisch angetriebene und autonom navigierende Fahrzeuge brauchen weder Scheinwerfer noch Kühllufteinlässe in der über Jahrzehnte angewandten Form. Man kann sie bald zeichnen wie Kühlschränke oder Raumschiffe. Man wird sehen, was wir dann noch zu lachen haben.

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