Langzeitfolgen

Covid-19: Genesen heißt noch nicht gesund

(C) Klinikum Wels-Grieskirchen
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Über 450.000 Menschen in Österreich gelten als von Covid-19 genesen. Doch nicht alle fühlen sich auch wieder fit. Mit „Long Covid“ hat das unterschätzte Problem zumindest einen Namen.

Das Bild des intubierten Intensivpatienten beherrscht die Sorgen rund um Covid. Auch wenn die Erkrankung glücklicherweise nicht immer so dramatisch verläuft, gilt andererseits, dass sie mit Ende der akuten Infektion oft noch nicht vorbei ist. „Die häufigsten Beschwerden sind Probleme mit der Atmung“, weiß Michael Muntean, Facharzt für Lungenheilkunde, der als Ärztlicher Leiter des Humanomed Zentrums Althofen in den letzten Monaten auch zahlreiche Patienten betreute, die nach einer Covid-Erkrankung einer Reha bedurften. Dies sei bei einer Lungenerkrankung nicht ungewöhnlich. Die Beschwerden entsprechen denen bei anderen Lungenerkrankungen und seien sowohl auf die Infektion als auch auf Schädigungen der Lunge durch Beatmung zurückzuführen. Auffällig seien allerdings die neurologischen Folgen, ins­besondere eine extreme Müdigkeit und Antriebslosigkeit, die als Fatigue bezeichnet wird und laut Muntean nach Covid vermehrt auftritt. „Oft bei Patienten, die nur milde bis moderate Verläufe hatten“, betont der
Experte.

»Wer anfangs viele Symptome hat, ist besonders von Long Covid gefährdet.«

Erkenntnisse aus Langzeitstudien. Welche Langzeitfolgen Covid-19 hat, ist Gegenstand zahlreicher Studien. Einige davon wurden an der Med-Uni Innsbruck durchgeführt. „Wir haben schon frühzeitig begonnen, die Langzeitfolgen von Covid-19 zu untersuchen – Tirol war ja in Österreich recht früh betroffen“, sagt der Mitautor Ivan Tancevski von der Univ.-Klink f. Innere Medizin II Infektiologie, Rheumatologie und Pneumologie. Aus den Erfahrungen mit Sars und Mers war zu befürchten, dass Covid-Patienten eine Lungenfibrose entwickeln können, die auch nach Abklingen der akuten Infektion fortschreitet, erklärt der Experte. In einer Langzeitstudie wurden von der Med‑Uni Innsbruck 150 Patienten nach sechs Wochen, drei und sechs Monaten nachverfolgt, „die ersten Daten nach einem Jahr bekommen wir gerade“, sagt Tancevski. „Die meisten von ihnen wurden stationär, einige auch nur ambulant behandelt, etwa 20 Prozent waren auf der Intensivstation – eine ganz wichtige Gruppe“, so Tancevski. Die gute Nachricht: Bei den
allermeisten bilden sich die anfänglichen Lungenläsionen mit der Zeit zurück. Das zeigte sich in der Lungenfunktion und in Röntgen/CT.
Allerdings litten einige sechs Wochen bis drei Monate noch an Symptomen wie Atemnot, Nachtschweiß, Müdigkeit oder Verlust des Geruchssinns. „Bei den meisten zeigte sich eine deutliche Besserung“, berichtet Tancevski. Es gibt aber auch eine kleine Gruppe, die weiter Beschwerden hat, für die der Begriff „Long Covid“ geprägt wurde. Davon spricht man, wenn die Beschwerden länger als vier Wochen nach den ersten klinischen Symptomen der Infektion anhalten. Genauer differenziert man zwischen Acute Covid (bis vier Wochen), Ongoing Covid (vier bis zwölf Wochen) und Post Covid (nach mehr als zwölf Wochen), so zumindest die Guidelines des britischen National Institutes for Health and Care Excellence (NICE). Wobei Tancevski darauf hinweist, dass an einer endgültigen, verbindlichen Definition noch gearbeitet wird. Long Covid betrifft laut einer britischen Studie jeden zehnten Covid-Patienten. „Laut unserer Eischätzung sind es zehn bis 20 Prozent“, sagt Tancevski.

Sad man with protective face mask at home living room couch feeling tired and worried suffering depression amid coronavirus lockdown and social distancing. Mental Health and isolation concept.
Sad man with protective face mask at home living room couch feeling tired and worried suffering depression amid coronavirus lockdown and social distancing. Mental Health and isolation concept.(c) Getty Images/iStockphoto (sam thomas)

Symptomvielfalt als Risko. Die Wahrscheinlichkeit für Long Covid hängt dabei weniger von der Schwere des Verlaufs ab, sondern davon, wie viele Symptome gleich in der der Anfangsphase aufgetreten sind. So hat jemand, der gleich zu Beginn an Kopfschmerzen, Geruchsverlust, Atemnot etc. gelitten hat, auch bei danach milderem Verlauf ein höheres Risiko als jemand, der nach anfänglich geringen Symptomen auf der Intensivstation war. Das wurde in mehreren Studien – unter anderem der Befragung von 4000 britischen Patienten per Handy-App – festgestellt und deckt sich mit den Ergebnissen der Innsbrucker Forscher. Zu den weiteren Risikofaktoren für Long Covid gehört neben Alter und hohem BMI auch das weibliche Geschlecht, berichtet Tancevski. Letzteres überrascht ein wenig, da bei den Akutverläufen eher die Männer benachteiligt sind. Ob verschiedene Mutationen sich bezüglich Long Covid unterscheiden, könne man noch nicht sagen. Zwar mehren sich laut dem Experten die Erkenntnisse, dass etwa die britische Variante nicht nur ansteckender ist, sondern auch häufiger zu schweren Verläufen führt. Ob diese auch öfter zu Long Covid führen, sei derzeit noch offen. „Solang das Virus mutiert, wissen wir nicht, was auf uns zukommt“, warnt Muntean.
Lunge wieder stärken. Der Reha-Zentrumsleter berichtet, wie Betroffenen im Rahmen einer Covid-Reha geholfen wird. Im Vordergrund steht bei den meisten Patienten die Lungenfunktion. Die Lunge hat oft an Elastizität eingebüßt, oft verbleibt nur ein Lungenvolumen von ein bis zwei Liter – zum Vergleich: Eine gesunde Lunge hat fünf bis sechs Liter. Das in der Regel stattfindende Abheilen der Lunge selbst kann die Reha kaum beschleunigen. Umso wichtiger sei es, die vorhandene Kapazität optimal zu nutzen, erklärt Muntean. Im Fokus stehen daher Übungen zur Kräftigung des Zwerchfells. Diese sind dem jeweiligen Leistungsniveau des Patienten angepasst, „bei Bedarf auch mit Sauerstoff“, sagt Muntean. So mancher seiner Patienten hatte schon vor der Infektion eine eingeschränkte Lungenfunktion, etwa wegen COPD. Neben der (zusätzlichen) Schädigung der Lunge durch die Covid-Infektion sei die Atemmuskulatur durch langes Liegen und vor allem eine eventuell erfolgte Intubation geschwächt. Das Ziel sei, „alles um die Lunge herum zu optimieren“, erklärt Muntean. Dazu gehören auch Medikamente gegen Reizhusten. Hier unterschiede sich die Rehabilitation nicht von der nach anderen schweren Lungenerkrankungen, etwa nach einer Lungenentzündung durch Pneumokokken.

Komplexer ist die Rehabilitation bei Patienten mit neurologischen Symptomen. Neben dem bekannten Verlust des Geruchssinns, der manchmal länger anhält und eventuell auch permanent sein kann, berichten manche Covid-Patienten von Missempfindungen, motorischen Defiziten oder Gesichtslähmung (Facialis Parese). Die häufigste und gravierendste neurologische Nachwirkung ist aber die Fatigue, eine extreme Müdigkeit, oft gepaart mit Antriebslosigkeit und Depressionen, die laut Muntean bei Covid-Patienten auffällig oft zu beobachten ist. Tancevski bestätigt: „Zwar kennt man diese Fatigue auch von anderen Viruserkrankungen, etwa der Influenza, sie tritt aber bei Covid häufiger auf.“ Zu den weiteren für Patienten sehr belastenden neurologischen Folgen zählen Gedächtnis- und Sprachfindungsstörungen. Beide Experten betonen, dass diese Folgen durchaus auch bei jüngeren, vor Covid gesunden Patienten und auch nach vergleichsweise mildem Verlauf zu beobachten sind.

»Die Beschwerden der Long-Covid-Patienten dürfen nicht bagatellisiert werden.«

Motivation durch Umfeld. Medikamentös sei gegen die Fatigue nicht viel auszurichten, sagt Muntea. Am meisten helfe den Patienten der strukturierte Tagesablauf. Zudem würde das Umfeld der Reha die Patienten mitreißen und sie sich gegenseitig motivieren. Bei Depressionen gibt es auch psychologische Betreuung. Diese sei ebenso bei dem „Critical Illness Syndrom“ angebracht, unter dem vor allem Patienten leiden, die einen schweren Verlauf hatten. „Plötzlich eine schwere, lebensbedrohliche Krankheit zu haben, ist ein traumatisches Erlebnis“, weiß Muntean. Generell sei die psychologische Schiene ganz wichtig, betont Munean. Bei motorischen Störungen oder Missempfindungen helfen zudem spezielle Trainings. Bei allen Reha-Maßnahmen werden Ziele definiert, berichtet Muntean. Um diese zu erreichen, können Maßnahmen der in der Regel dreiwöchigen stationären Reha ambulant weitergeführt werden.
Muntean betont, dass sowohl die Erkrankung selbst als auch die Langzeitfolgen ernst genommen werden müssen. Eine Reha könne auch Patienten mit milderen Verläufen helfen, rascher wieder fit zu werden. Jedenfalls anzuraten ist eine solche bei deutlichen Beeinträchtigungen. „Wenn man nach vier Wochen noch nicht in die Gänge kommt und etwa nicht wieder ins Berufsleben zurückkehren kann, dann ist eine Reha ratsam.“

Auch Tancevski appelliert, die Gruppe der Long-Covid-Patienten nicht zu vernachlässigen. Sowohl Hausärzte als auch die Patienten selbst sollten aufmerksam sein und Symptome nicht bagatellisieren. Ein Verdacht sollte jedenfalls vom Lungenfacharzt oder auch vom Kardiologen abgeklärt werden.

Gesundheits-Info:

Geruchssinn wieder trainieren.

Wer etwa nach einer Infektion den Geruchssinn verloren hat, kann die Wiederherstellung fördern, indem er die Nase trainiert. Zu diesem Ergebnis kamen sowohl Studien, die vor Covid durchgeführt wurden, als auch solche, die dezidiert den Geruchsverlust nach Covid untersuchten. Dazu riecht man zwei Mal täglich intensiv an stark riechenden Substanzen wie etwa Kaffee oder Duftölen mit Zitronen-, Eukalyptus- oder Rosenduft. Welche Düfte konkret verwendet werden, ist nebensächlich, laut einer deutsch-türkischen Studie sind die Ergebnisse am besten, wenn man sie abwechselt. Das wichtigste ist aber Geduld – bis sich Ergebnisse einstellen, kann es Monate dauern.

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