Volkstheater

Dieses Telefonat wird vielleicht intim

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Im Projekt „Tausend Wege“ der New Yorker Truppe 600 Highwaymen folgen je zwei Besucher Anweisungen einer Computerstimme – eine Erinnerung an Fühlen und Leben, gegen den schalen Corona-Alltag.

Am Anfang klingt alles vor allem technisch. Man erhält eine Telefonnummer, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt anrufen soll. Einen sechsstelligen Zugangscode und dazu auch noch ein sechsstelliges Meeting-Passwort. Als ob man in Coronazeiten nicht schon genug gesichtslose Gespräche am Handy geführt hätte . . . Und dann nimmt einen auch noch eine (weibliche) Computerstimme in Empfang.
Aber man ist in der einstündigen Veranstaltung „Tausend Wege – Ein Telefonat“, die das Volkstheater bis 22. April anbietet, nicht nur mit einer Computerstimme verbunden, sondern auch mit einem zweiten Gast. Und geführt von Fragen, Erzählungen und Anweisungen des Computers entsteht im besten Fall - etwas sehr Menschliches.

Menschen mit unbekannten anderen Menschen, mit der Welt, den Dingen und mit sich selbst zu verbinden: Darum geht es in dem Projekt der viel gelobten New Yorker Theatertruppe 600 Highwaymen. Das Computerprogramm, dessen Anweisungen Person A und Person B folgen, macht das recht listig. Anfangs spricht man nur die gleichen Sätze nach, Sinnlossätze, aber mit sinnlicher Qualität („Dies ist der Klang deiner Stimme“, „Siehst du den Qualm auch?“ etc.). „Worte reichen nicht immer aus, aber sie sind das, was wir haben“, erinnert uns die Stimme. Sie bringt A und B des Weiteren dazu, durch Kleinigkeiten die Umgebung und den eigenen Körper wahrzunehmen. Und sie fragt vor allem. Auf Trivialitäten wie „Warst du je auf einem Flohmarkt, in Frankreich, in einem Fahrradgeschäft . . .?“ folgt unversehens eine intime Frage – in die man nun hineinplumpsen kann oder auch nicht.

Unerwartete Fenster zu sich, zum anderen

Und so öffnen sich plötzlich kleine Fenster zum anderen, oder auch zu sich selbst. Wenn zum Beispiel der Computer sagt „Nenne jemanden, den du liebst“ und das Zögern des anderen danach sich schier minutenlang dehnt, bis zur Antwort: „Ich habe keinen.“
Dazwischen führt einen das Programm immer wieder auf eine Fantasiereise in die Wüste. Zu dritt (auch die Computerstimme will nun als Person wahrgenommen werden) macht man sich nach einer Autopanne auf den Weg und übernachtet unter freiem Himmel - das wirkt etwas verkrampft.

„Eines Tages werden wir darüber lachen“, heißt es, „werden wir hier davon erzählen, wird das eine tolle Geschichte sein.“ Wie gut das alles funktioniert, hängt freilich sehr von einem selbst ab. Will man sich darauf einlassen? Vor allem auf den unbekannten Zweiten? Aber auch das Nichteinlassen macht etwas mit einem. Am Ende wird es wohl auch manche geben, die Namen und Kontaktdaten austauschen. Und viele, die zwischendurch unvermutet in den Austausch von Kindheitsgerüchen und -geräuschen hineingerutscht sind. Die künstliche Intelligenz der Computerstimme ist nicht beeindruckend, aber sie reicht aus, um etwas in Gang zu bringen, wovon sie selbst keine Ahnung hat: Spüren und Fühlen.

Eigentlich sollte „Tausend Wege“ auch als Theaterprojekt in Wien eine Fortsetzung finden: Es ist der erste Teil einer Trilogie. In deren Fortgang wächst die Nähe. In Teil zwei („An Encounter“) kommen die Teilnehmer mit Anweisungen und Materialien mit einer fremden Person zusammen. In Teil drei („An Assembly“) kommen schließlich alle zusammen, die teilgenommen haben. Wie illusorisch das nun klingt . . . Aber gerade in diesen Zeiten kann sich schon „Tausend Wege“ wie ein Weg ins Freie anfühlen. Im Grunde ist es ziemlich simpel. Aber es funktioniert.

Weitere Aufführungen: 6., 7., 8., 13., 14., 15., 20., 21. & 22. April jeweils 17.30, 19 und 20.30 Uhr

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