Morgenglosse

"Self-fulfilling prophecy": Jetzt haben wir den Basar

Auch in der deutschen Stadt Marburg läuft die Produktion von Covid-Impfstoffen für Biontech/Pfizer auf Hochtouren.
Auch in der deutschen Stadt Marburg läuft die Produktion von Covid-Impfstoffen für Biontech/Pfizer auf Hochtouren.APA/AFP/THOMAS LOHNES
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Bevölkerungsschlüssel und zugeteilte Kontingente, die abgerufen werden können: Die Mathematik hätte die Impfstoff-Verteilung in der EU schon geregelt, wären nicht einige Lieferanten äußerst säumig. Jetzt wurde erst recht um zehn Millionen Impfdosen gefeilscht.

"Es ist schon paradox und ein wenig traurig: Jetzt hat Kanzler Kurz genau den Basar geschaffen, vor dem er ursprünglich gewarnt hat“, das soll ein EU-Diplomat der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag gesagt haben. Und wie die „Einigung“ der EU-Länder, die von Österreich, Slowenien und Tschechien nicht wirklich als solche empfunden wird, schlussendlich zustande gekommen ist, ist durchaus klassische Basar-Technik.

Ein Basar ist ja prinzipiell etwas gut Geregeltes. Verkäufer und Käufer besprechen den Preis für ein Produkt, man handelt, argumentiert, einigt sich - oder eben nicht. Wünsche und Vorstellungen von Anbieter und Kunde treffen sich im Idealfall nahe der Mitte. Aber wenn eine Gemeinschaft quasi lebenswichtige Güter wie Impfstoffe gegen eine Pandemie unter sich verteilt, sollte da um Mengen gefeilscht werden?

Welche Kriterien sollen gelten?

Zehn Millionen vorzeitig lieferbare Dosen von Biontech/Pfizer gab es unter den 27 EU-Mitgliedstaaten neu zu verteilen. Doch wie viel davon sollten Länder erhalten, die durchs Setzen aufs falsche Vakzin-Pferd beim Impfen zurückliegen? Zuerst hatte es geheißen, drei Millionen. Nun sind es 2,85 Millionen. Zuerst sollten sechs Länder davon profitieren. Dann fiel Tschechien plötzlich von dieser Liste. Welche Maßstäbe wurden hier angesetzt? Welche Daten? Wie weit wurde vorausgeblickt? Schließlich dürfte zum Beispiel auch Österreich im Verlauf der nächsten Monate im EU-Impf-Ranking weiter zurückfallen, da AstraZeneca deutlich weniger liefern kann, als vom Gesundheitsministerium einkalkuliert.

Österreich forderte folglich auch ursprünglich mehr von diesen 10 Millionen Dosen ein, als es der Bevölkerungsschlüssel erlauben würde. 400.000 Impfdosen sollten dem Impfplan auf die Sprünge helfen. Die noch am Mittwoch kolportierten 140.000 seien zu wenig, kam lautstark Kritik am ersten portugiesischen Vorschlag zur Aufteilung. Die am Donnerstagabend schließlich vereinbarten etwas weniger als 200.000 seien hingegen aus österreichischer Sicht ein „solides“ Ergebnis - dabei ist das wiederum genau jene Zahl, die dem Bevölkerungsschlüssel entspricht.

Verhandlungen leben von überhöhten Forderungen. Aber das Handeln um die verbleibenden Impfdosen - eben wie auf einem Basar - ist so tatsächlich zur „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“, zur „self-fulfilling prophecy“ des Kanzlers geworden. Dabei wäre eine schlichte und konstruktive Warnung, dass in manchen Ländern bei der Impfstoff-Kalkulation etwas schiefgegangen ist, ja durchaus verständlich gewesen. Doch der von „Korrekturmechanismus“ wurde dann selbst zum „Basar“.

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