EU

Tschechien soll 30.000 Impfdosen aus Österreich bekommen

Andrej Babiš forderte gemeinsam mit Kanzler Kurz einen Korrekturmechanismus bei der Impfstoffverteilung. Beide Länder trugen den Kompromiss dann aber nicht mit.
Andrej Babiš forderte gemeinsam mit Kanzler Kurz einen Korrekturmechanismus bei der Impfstoffverteilung. Beide Länder trugen den Kompromiss dann aber nicht mit.APA/GEORG HOCHMUTH
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Beim Streit um Kompensations-Impfungen ging Tschechien leer aus. Kanzler Kurz will dem Nachbarn bilateral aushelfen. Beim EU-Verteilungskompromiss machten beide Länder und Slowenien nicht mit. Dem Kanzler schlägt nach der EU-"Einigung“ heftige Kritik entgegen.

Offiziell ist der EU-Impfsstoffstreit beigelegt, dabei geht er soeben in die nächste Runde. Denn Österreich, Tschechien und Slowenien beteiligen sich nicht am Dienstagabend erzielten Kompromiss und kritisierten diesen. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will Tschechien nun auf bilateralem Weg 30.000 Impfdosen zur Verfügung stellen. Das Verhalten des Kanzlers auf EU-Ebene wird von der Opposition aber auch von internationalen Medien heftige kritisiert.

Der tschechische Regierungschef Andrej Babiš hat die Beschlüsse der EU in Sachen der Verteilung von zusätzlichen zehn Millionen Impfstoffdosen von Pfizer/Biontech kritisiert. Er verstehe nicht, wie der portugiesische EU-Vorsitz einen "Kompromiss" ankündigen könne, wenn damit Tschechien, Österreich und Slowenien nicht einverstanden seien, sagte Babiš gegenüber der Nachrichtenagentur CTK.

"Solidarität gibt es nur in Presseaussendungen. Hinter verschlossenen Türen gibt es keine Solidarität", meinte Babiš. Bei den Verhandlungen habe sich der Wunsch durchgesetzt, den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dafür zu bestrafen, dass er gegen die unausgewogene Verteilung von Impfstoffen innerhalb der EU protestiert habe. Die portugiesische Lösung sei unter starkem Druck großer Staaten und unter Verletzung aller Verfahrensregeln entstanden, so Babiš.

Die tschechische Opposition attestierte Babiš im EU-Impfstoffstreit "völliges Versagen" und eine "skandalöse Niederlage". Wie Österreich bekommt auch Tschechien keine Dosen aus jenem Anteil der zehn Millionen, der für Korrekturen gedacht ist. Dabei sah das im ersten Entwurf Portugals noch anders aus. Insgesamt geben 19 Staaten gut 2,8 Millionen Dosen ab. Damit sollen Lücken in Estland, Lettland, der Slowakei, Kroatien und Bulgarien ausgeglichen werden. Die übrigen sieben Millionen Impfdosen sollten nach Bevölkerungsanteil unter allen 27 Staaten verteilt werden.

Kurz will Tschechien bilateral unterstützen

Österreich werde in Abstimmung mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) "Tschechien auf bilateralem Weg mit 30.000 Impfdosen unterstützen", kündigte Kurz nach Angaben des Bundeskanzleramts am Freitag an. Auch aus anderen europäischen Ländern habe er dafür Bereitschaft vernommen. "Tschechien ist besonders hart getroffen mit zahlreichen Todesfällen und noch immer hohen Ansteckungsfällen, hat aber trotzdem als einziges Land bei der europäischen Impfstoffverteilung keine zusätzlichen Impfdosen bekommen. Gerade Tschechien nicht zu unterstützen empfinden wir als unfair und unsolidarisch“, so der Kanzler.

Mit einigen hunderttausend Dosen hätte man das Problem in Tschechien lösen können, betonte Kurz. "In einem ersten Vorschlag im Steering Board hätte Tschechien rund 800.000 Impfdosen erhalten sollen, daraus wurde letztlich nichts." Wenn es in manchen Ländern zu wenig Impffortschritt gebe, dann sei das im Ergebnis schlecht für alle, "weil wir die Pandemie nur gemeinsam besiegen können. Und dass eines unserer Nachbarländer hier zurückgelassen wird, wollen wir nicht akzeptieren". Man sehe an der Ostregion Österreichs, aber auch im Osten Deutschlands, dass das Virus an den Grenzen keinen Halt mache, so Kurz.

Tschechiens Regierungschef Babiš dankte Kurz für die
30.000 Dosen von Pfizer. "Wir sind sehr dankbar für diese großzügige
Hilfe, ganz besonders von Freunden, die auch mehr Impfstoffe
brauchen, die aber verstehen, wie schwierig unsere Situation ist.
Das ist echte Solidarität", schrieb Babiš auf "Twitter".

Slowenien will aus Solidarität mit Tschechien gehandelt haben

Der slowenische Regierungschef Janez Janša begründete die ablehnende Haltung von Slowenien, Österreich und Tschechien gegenüber dem Solidaritätsausgleich im Streit um die Impfstoffverteilung damit, dass die Lösung ungünstig für Tschechen gewesen sei. "Für Österreich und Slowenien war die Lösung akzeptabel, nicht aber für Tschechien, das derzeit sehr betroffen ist. Dessentwegen haben wir insistiert", schrieb Janša am Donnerstagabend auf Twitter.

Von den zusätzlichen zehn Millionen Impfdosen hätte "mindestens fünf Millionen Impfdosen" nach dem Solidaritätsprinzip verteilen werden müssen, um alle, auch Tschechien, zu erfassen, twitterte der slowenische Premier.

Slowenien, das nun einen Anteil gemäß Bevölkerung von den gesamten zehn Millionen Dosen bekommen wird, wird nunmehr rund 47.000 Impfdosen erhalten, anstatt von zunächst vorgesehenen 33.000 Dosen. Tschechien hätte nach dem ursprünglichen Plan rund 140.000 zusätzliche Dosen bekommen sollen.

„Österreich lässt andere EU-Staaten im Stich"

Die Opposition übte am Freitag scharfe Kritik am Kurs von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser führe Österreich "ins internationale Abseits", so SPÖ-Klubvize Jörg Leichtfried.

Scharfe Kritik äußerten auch die Neos. "Wir haben uns vollkommen ins Aus manövriert. Bravo!", schrieb die Neos-Europaabgeordnete Claudia Gamon auf "Twitter". Gamon kritisierte, dass Österreich die bedürftigen Länder nicht mit eigenen Impfdosen unterstützt habe: "Österreich nimmt an dieser solidarischen Verteilung gar nicht Teil. Das offizielle Österreich lässt andere EU-Staaten im Stich."

Kurz sei "am EU-Parkett nicht nur ausgerutscht, er ist schwer gestürzt", sagte Leichtfried laut Aussendung. Die Regierung Kurz habe zuerst auf 1,5 Mio. Dosen von Johnson & Johnson-Impfstoffe freiwillig verzichtet. Damit hätten, so Leichtfried, im Juni 1,5 Mio. Menschen in Österreich geimpft werden können. Dieser Verzicht sei grob fahrlässig gewesen. "Österreich hat es nicht verdient, einen Kanzler zu haben, der unser Land ins internationale Abseits stellt." SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder bemängelte: "Zuerst hat sich Bundeskanzler Kurz als Aufdecker und Sprecher gegen Ungerechtigkeit inszeniert, sobald es aber darum geht, diese vermeintlichen Ungerechtigkeiten abzustellen, will man nichts mehr davon wissen. Wie vorhergesagt ging es eben nie um gerechte Verteilung oder Solidarität mit bisher benachteiligten Mitgliedstaaten, sondern immer nur um den eigenen Vorteil."

„Politico": Kurz wurde zur „persona non grata"

Der Politologe Peter Filzmaier sieht in dem EU-Impfstoffstreit eine gewisse Ablenkung von der Debatte, warum Österreich zu wenig Impfstoffe bestellt habe und wer davon wann gewusst habe. "Es überlagert die Ausgangsdebatte", sagte Filzmaier am Freitag im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. In der innerösterreichischen Öffentlichkeit mache der Streit mit der EU keinen zusätzlichen Unterschied. "Die Basisbotschaft von der Impfung als Game Changer funktioniert nicht mehr."

Das EU-Portal "Politico" schrieb, für Kurz markiere der
Impfstoffstreit in der EU "ein Scheitern an mehreren Fronten. Er war nicht in der Lage, zusätzliche Impfdosen für sein Land zu sichern; er hat die bedürftigen Länder verraten, die ursprünglich seine Bemühungen unterstützten; und er hat seine eigenen Bestrebungen untergraben, ein Anführer der in Europa dominierenden politischen Mitte-Rechts-Familie zu werden." Das Magazin zitierte einen namentlich nicht genannten Diplomaten mit den Worten, Kurz sei nun eine 'persona non grata" für die meisten Mitgliedsstaaten.

Dankbarkeit in Estland und Lettland

Anders als Tschechien, Österreich und Slowenien bekommen die beiden Staaten Estland und Lettland mehr Impfstoff aus der Zehn-Millionen-Tranche, als es ihnen nach Bevölkerungsschlüssel zustehen würde. Die beiden baltischen Staaten Estland und Lettland zeigten sich am Freitag dankbar. "Diese zusätzlichen Dosen sind eine wichtige Unterstützung der EU für Estland bei der Bekämpfung der Pandemie", wurde Regierungschefin Kaja Kallas in einer Mitteilung zitiert. Auch Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics würdigte die "Unterstützung und echte Solidarität" der EU-Mitgliedstaaten.

Das gegenwärtig stark von der Corona-Pandemie betroffene Estland erhält nach Regierungsangaben damit in den kommenden drei Monaten insgesamt über 62.000 Extra-Dosen. Das benachbarte Lettland, das vor allem auf das AstraZeneca-Mittel setzt und weniger als möglich von anderen Präparaten bestellt hatte, bekommt mehr als 400.000 Dosen.

Damit die Unterstützungsaktion möglich wurde, mussten 19 Länder jeweils auf rund 30 Prozent ihrer Impfdosen verzichten. Österreich bekommt mit 198.815 Dosen etwas mehr als zunächst vorgesehen, aber deutlich weniger als die zu Beginn des Verteilungsstreits von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erhofften 400.000.

(APA/Red.)

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