Die Europäische Arzneimittelbehörde beurteilt das Nutzen-Risiko-Verhältnis dennoch positiv. Weiterhin empfiehlt die EMA die Anwendung des AstraZeneca-Impfstoffes.
Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) gibt weiterhin grünes Licht für den Corona-Impfstoff des Herstellers AstraZeneca. Trotz sehr seltener Fälle von Blutgerinnseln in Hirnvenen empfiehlt die EMA weiterhin uneingeschränkt die Anwendung des Impfstoffes. "Der Nutzen des Wirkstoffes bei der Bekämpfung von Covid-19 ist deutlich höher zu bewerten als die Risiken", sagte EMA-Chefin Emer Cooke am Mittwoch in Amsterdam.
Die Experten stellten zwar einen Zusammenhang zwischen Impfstoff und Thrombosen bei einer sehr geringen Zahl von Blutplättchen fest. Dies trete allerdings sehr selten auf. Die Behörde hält damit weiterhin an ihrer Bewertung des Präparates fest. Experten hatten zuvor Meldungen von Thrombosen nach einer Impfung eingehend untersucht. Diese Analysen würden fortgesetzt, wie die EMA mitteilte.
Frauen unter 60 Jahren betroffen
Thrombosen betrafen vor allem Frauen unter 60 Jahren binnen zwei Wochen nach der Impfung. Spezifische Risikofaktoren seien nach den bisherigen Erkenntnissen nicht bestätigt worden. Das AstraZeneca-Mittel sei ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Pandemie, sagte Cooke. Die gemeldeten Blutgerinnsel seien ein sehr seltener Nebeneffekt, der in den Beipackzetteln des Medikaments vermerkt werden solle. Dies solle auch in die Entscheidung über den weiteren Einsatz in einzelnen Ländern einfließen.
Die EU-Gesundheitsminister beraten am Abend in einer außerordentlichen Videokonferenz über die möglichen Risiken im Zusammenhang mit dem Impfstoff von AstraZeneca. Österreich wird nach Auskunft des Gesundheitsministeriums daran teilnehmen. Ab 18.00 Uhr tagt außerdem das Nationale Impfgremium (NIG) zur aktuellen Stellungnahme der EMA. In der Folge finden Donnerstagvormittag seitens des Gesundheitsministeriums Beratungen mit den Gesundheitsreferenten der Bundesländer zur weiteren Vorgehensweise mit dem Impfstoff statt.
Einsatz in manchen Ländern eingeschränkt
Mehrere Länder, darunter Deutschland, Frankreich und Kanada, haben den Einsatz von AstraZeneca eingeschränkt. Andere Länder wie Dänemark setzten die Verwendung vorsichtshalber vollständig aus. In Österreich hatte das Nationale Impfgremium vergangene Woche die Weiterführung des Impfprogramms mit AstraZeneca empfohlen. Die Weltgesundheitsbehörde (WHO) hat sich bisher für Impfungen mit AstraZeneca ausgesprochen.
Die britische Impfkommission hat unterdessen ihre Empfehlung für den AstraZeneca-Impfstoff geändert. Das Präparat soll künftig möglichst nur noch Erwachsenen über 30 Jahren verabreicht werden, wie die Kommission am Mittwoch mitteilte. Grund sind Berichte über seltene Fälle von Blutgerinnseln im Zusammenhang mit einer Impfung mit dem Vakzin.
EMA geht 60 Berichten nach
AstraZeneca hat immer wieder erklärt, Studien hätten keine erhöhte Thrombose-Gefahr gezeigt. Die EMA geht nach eigenen Angaben derzeit mehr als 60 Berichten zu Gehirn-Thrombosen - also Blutgerinnseln - nach. Einige verliefen tödlich. Geimpften riet die EMA, auf die entfernte Möglichkeit der sehr seltenen Blutgerinnsel zu achten. Bei entsprechenden Symptome sollten sie sofort medizinischen Rat einholen, hieß es weiter.
Der Impfstoff mit dem Marktnamen Vaxzevria hatte Ende Jänner eine bedingte Marktzulassung für die EU erhalten. Danach ist der britisch-schwedische Hersteller weiterhin verpflichtet, alle Daten zu möglichen Nebenwirkungen weiterzuleiten.
Australien kritisiert Exportkontrollen
Während in Europa also die Skepsis vor einer Immunisierung mit AstraZeneca weiter wächst, wartet Australien sehnsüchtig auf das Vakzin. Premier Scott Morrison machte Impfstoff-Exportbeschränkungen der EU für die stockende Corona-Impfkampagne in seinem Land verantwortlich. Wegen Impfstoffknappheit und der von der EU-Kommission beschlossenen „strengen Exportkontrollen“ habe Australien nur 700.000 der vereinbarten 3,8 Millionen AstraZeneca-Impfdosen erhalten, sagte er am gestrigen Mittwoch. Die EU hatte wegen mehrfach aufgetretener Lieferverzögerungen des Herstellers die EU-Exportregeln deutlich verschärft. Damit sind nun Ausfuhrverbote möglich, wenn ein Zielland selbst Impfstoff produziert, aber nicht exportiert, oder wenn dessen Bevölkerung bereits weitgehend geimpft ist. Italien hatte vergangenen Monat eine Lieferung von 250.000 Impfstoff-Dosen von AstraZeneca nach Australien gestoppt.
Nun liegt die australische Regierung bei der Impfkampagne weit hinter ihrem Zeitplan zurück. Ursprünglich sollten bis Ende März vier Millionen Dosen verimpft sein, tatsächlich wurden jedoch nur rund 920.000 Dosen verabreicht. Die Behörden setzen auf importierte, als auch auf örtlich hergestellte AstraZeneca-Impfdosen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2021)