Nachruf

Er hat Wien zur Tanzstadt gemacht: Ismael Ivo ist tot

ImPulsTanz/Hardy Richter
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Der brasilianische Tänzer und Choreograf Ismael Ivo hinterlässt ein Glücksgefühl: Er hat uns das ImPulsTanz-Festival geschenkt. Mit nur 66 Jahren ist er an Corona gestorben.

Wien im Winter 1986/87. Als frisch nach Wien übersiedelte Studienanfängerin hatte man sich noch nicht an die Bundeshauptstadt gewöhnt. Keine vertrauten Gesichter. Kein Stamm-Café. Keine Ballettschule, um zwischen dem Lernen den Kopf frei zu kriegen. Dafür gab es in den Semesterferien die Internationalen Tanzwochen auf der Schmelz. Dort, wo sonst Sportstudenten geschunden wurden, veranstalteten Ismael Ivo und Karl Regensburger seit 1984 ihre Workshops und verbreiteten dieses herrliche Glücksgefühl, das aus der Kombination von Schweiß, Kreativität, Freude und dem Zusammentreffen aufgeschlossener Menschen entsteht.

Ivo und Regensburger? Die Namen sagten mir nichts. Der African-Dance-Workshop mit Live-Percussion, dieses völlig neue Körper- und Tanzgefühl, hat sich aber in mein Körpergedächtnis eingeschrieben. Offensichtlich ging es vielen so. Denn aus den Workshops erwuchs 1988 das ImPulsTanz-Festival, das die Musikstadt Wien jeden Sommer zu Europas Tanzhauptstadt macht. Neben Tanz- und Choreografie-Stars kommen interessante Newcomer und ein Schwall fröhlicher Tanztouristen, sie sorgen immer wieder für diese spezielle Atmosphäre, dieses ganz spezielle Glücksgefühl.

Ivo war großzügig und optimistisch

Zuletzt hatte das Festival mit Rückschlägen zu kämpfen. Im vergangenen Sommer, als viele noch glaubten, Corona sei vor allem eine Gefahr für Ältere oder Kranke, erhielten die Mitarbeiter erschreckende Nachrichten aus der Tanzszene in aller Welt. Auch Tänzer – jung, fit, gut trainiert – berichteten davon, wochenlang mit einer schweren Corona-Infektion gekämpft zu haben. Am Ende musste das ImPulsTanz-Festival 2020 abgesagt werden. Doch der härteste Schlag sollte erst Monate später kommen: Wie am Freitag bekannt wurde, ist Ismael Ivo am 8. April in seiner brasilianischen Heimatstadt São Paolo an einer Covid-Infektion gestorben. Er wurde nur 66 Jahre alt.

ImPulsTanz/Karolina Miernik

Besonders schmerzhaft muss es für Karl Regensburger sein, den mit Ivo ein Berufsleben, eine Passion und vor allem eine tiefe Freundschaft verbinden. „Das ist ein großer Verlust für alle, die ihn kannten, weil er ein wunderbarer und unglaublich großzügiger Mensch war“, sagte Regensburger der Apa. Ivo habe einen stets mit Optimismus mitgerissen: „Selbst in unseren dunkelsten finanziellen Zeiten hat er hell aufgelacht, gemeint ,Wir schaffen das‘, und dann hat man es selbst auch geglaubt.“

Ivo hat alles geschafft: 1955 als Sohn eines Bauarbeiters und einer Putzfrau in São Paulo geboren, studierte er in den 1970ern Sozialwissenschaft, Psychologie, Philosophie und Soziologie, bevor er 1976 parallel eine Tanzausbildung anfing. 1983 erhielt er dann die Einladung nach New York an Alvin Ailey's American Dance Center.

Eine „Aura das Sambafeelings“

Dort legte Ivo den Grundstein für seine internationale Karriere. Er habe „im besten Sinne deutsches Tanztheater verkörpert“, würdigt Regensburger Ivos Tanzschaffen. Und er sei „trotz der Aura des Sambafeelings“ stets am „deutschen Wesen“ interessiert gewesen. Ivo arbeitete als Tänzer und Choreograf u. a. mit George Tabori und Marcia Haydée zusammen, zählte Heiner Müller oder Johann Kresnik zu seinen Freunden.

Er liebte, was er tat, und wurde nicht müde, den Tanz gegen Geringschätzung zu verteidigen: „Der Körper ist das einzige Instrument, in dem wir auch daheim sind“, sagte Ivo einmal im Interview mit der „Presse“: „Man kann damit Meinungen, Ideen, Gefühle ausdrücken – und wer das kann, der kann auch bessere Ideen entwickeln, besser mit anderen kommunizieren.“

Umtriebig war Ivo immer. Von 1996 bis 2005 leitete er das Tanztheater des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, 2005 bis 2012 die Sektion Tanz der Biennale Venedig. 2017 übernahm er die Leitung des Balé da Cidade de São Paulo, wurde Co-Intendant des Opernhauses. Bis zuletzt blieb er Wien und dem ImPulsTanz verbunden, präsentierte etwa noch sein Ausbildungsprojekt „Biblioteca do Corpo“ und wurde 2013 Gastprofessor am Max-Reinhardt-Seminar. „Er war noch nicht fertig mit all seinen Plänen“, sagt Regensburger. Im Herbst hätte er in São Paolo das Choreografische Zentrum Ismael Ivo eröffnen sollen. Das ImPulsTanz-Festival, das am 15. Juli in Wien starten soll, wird Ivo würdigen. Man hat nicht nur einen Spiritus Rector, sondern einen Freund verloren.

(APA/red.)

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