Zeichen der Zeit

Wie ich zu Franzobel wurde

Ich bin ja überzeugt, dass Menschen in Namen hineinwachsen, irgendwann genau das machen, was ihr Name vorgibt.
Ich bin ja überzeugt, dass Menschen in Namen hineinwachsen, irgendwann genau das machen, was ihr Name vorgibt. Michael Dürr
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Ich bin ja überzeugt, dass Menschen in Namen hineinwachsen, irgendwann genau das machen, was ihr Name vorgibt. Ich ohne Pseudonym? Keine Ahnung. Von Muränen, Haifischgemächten und meiner „Geburt“ vor 30 Jahren.

Die Muräne ist ein grässliches Tier, sieht aus wie eine Schlange mit Hundekopf, lauert kopulierenden Haifischen auf und wartet, bis das Raubfischgemächt postkoital herausgezogen wird, um es . . . jawohl! . . . abzubeißen, was, man glaubt es kaum, ab und an tatsächlich glückt. Auch die Menschen wurden zusehends muräniger, sind nur darauf bedacht, das größte Stück vom Kuchen zu bekommen, egal zu welchem Preis. In einer Abhandlung über den Atheismus habe ich gelesen, die Menschen werden glauben oder nicht mehr sein. Aber woran glauben? Gott hat es schwerer denn je. Jeder zimmert sich sein privates Erlösungseigenheim zusammen, verleimt ein bisschen Esoterik mit asiatischer Philosophie, möbliert mit Astrologie und Fragmenten aus dem Bibelunterricht, um für alle postmortalen Eventualitäten gerüstet zu sein, das Leben als endliche Unterhaltung zu genießen, aber mit Vollkaskomentalität. Oder glaubt wirklich noch jemand an Gott? Geht das? Die meisten beten um Wachstum, glauben an Wirtschaft, ihre Arbeit, vielleicht an die Familie, vor allem aber an Besitz, Konsum oder die Natur, in der Muränen in Haifischschniedel beißen. Vor allem aber an das Ego. Daneben gibt es einen Drang zu Bedeutsamkeit, der durch die sozialen Medien klicklich befriedigt wird. Bei mir war der irrationale Wunsch nach Unsterblichkeit . . . oder war es ein Verlangen nach Aufmerksamkeit und Liebe? . . . stark ausgeprägt, nur dass in meiner Anfangszeit kein Facebook, Instagram oder Tiktok existierte. 1991: Die Grenzen zu Osteuropa hatten sich aufgetan, die Boulevardmedien fürchteten eine Billigarbeitskräfteflut. Das Hundertwasserhaus wurde eröffnet, man sprach über die Lainzer Mordschwestern, und im indischen Ozean wurde das Lucona-Wrack entdeckt – und nicht mit einem Herrenausstatter verwechselt. Ayrton Senna beherrschte die Formel 1, und Diego Maradona das Kokain. Hans Krankl trainierte Rapid Wien. Vor dreißig Jahren war Franz Vranitzky Bundeskanzler, Alois Mock Außenminister, und in der Hofburg ritt Kurt Waldheim Erinnerungen platt. Das Volk trug Vokuhila und abscheulich bunte Jacken mit Mustern, die aussahen, als hätte ein Primat mit einem Mengenlehre-Baukasten gespielt: mintgrün, brombeerrot. Die Zwillingstürme in New York ragten unangetastet in den Himmel, und Rosamunde Pilcher wie Johannes Mario Simmel kitzelten Bestseller vom Fließband. Die Hitparaden wurden angeführt von David Hasselhoff, Roxette oder Jazz Gitty und ihren Disco Killers.

Hippies als Eltern

Vor dreißig Jahren hatte man Großeltern mit Nazivergangenheit und Eltern, die sich als Hippies easy-peasy zuzudröhnen wussten. Anti-Atomkraft, Hainburg usw. Ich war von einer umweltbewussten und sozial gerechten Zukunft überzeugt. Das Gegenteil trat ein, aus vergnügungssüchtigen Jus-Studenten und No-Future-Punks wurden versuppte Aktionäre und Investmentfondumrührer. Start-uper, Einzelunternehmer und Alleinvereine. Muränen! Die Welt wurde geschäftsmännischer, parfümierter, sauberer, aber nur wenig besser. Vor dreißig Jahren wurde ich geboren, fast, bin ich doch damals erstmals unter dem Namen Franzobel aufgetreten. Es gibt diverse Legenden zu dem Namen, wobei die bekannteste jene ist, dass er sich von einem Fußballspiel Frankeich gegen Belgien herleitet: FRAN 2:0 BEL. Das ist Unsinn. Warum sollte ich mich nach einem Fußballspiel benennen, das noch dazu nie stattgefunden hat? Aber in Zeiten, in denen man sich Kindergeburtstage auf Unterarme tätowieren lässt, ist alles möglich. Tätowierungen waren Anfang der Neunziger böse Häfenpeckerl oder Matrosenetikette. Die Arschgeweihe kamen später. Der Name Franzobel entstand zu einem studentischen Happening. Genaugenommen hat ihn der Künstler Paul Divjak erfunden. Der erste Auftritt als Franzobel fand am 8. März (Weltfrauentag!) 1991 im Pfarrsaal der Marienkirche Hernals statt. Wir eiferten den Dadaisten und der Wiener Gruppe nach, verehrten Ernst Jandl, Wolfgang Bauer und H. C. Artmann. Der frugale Pfarrsaal war gerammelt voll. Ich trat mit nichts als einer langen Untergatti auf und hatte ein selbst gebasteltes Lesepult umgeschnallt, aus dessen Spitze muränenartig ein Waschmaschinenschlauch samt Kasperlkopf hing. Darunter waren mit orangengroßen Styroporkugeln gefüllte Nylonsackerl angebracht. Ich muss ausgesehen haben wie eine Bienenkönigin beim Hochzeitsflug, ein Gottseibeiuns vom Mistabladeplatz, aber stolz wie ein brunftiger Stier. Vorgetragen habe ich einen Text, der in der Nacht der ersten Bombardements des zweiten Irakkrieges entstanden ist, geschrieben auf einem PC, der gelegentlich falsche Zeichen wiedergegeben hat, %§ statt e, §& statt ö usw. Eine Freundin hat das Ave Maria gehaucht, von Paul Divjak wurden Super8-Filme projiziert, und Thomas Eder, heute seriöser Germanist, gab einen empörten Besucher à la Konrad Bayer. Wie der Pfarrer dieses Happening aufgenommen hat, ist nicht bekannt, aber Christen sind ja tolerant. „Via Crucis oder die Suche der Blunzenstricker“ hieß der Abend. Alle Auftretenden hatten verballhornte Namen, meiner war Franzobel, und dabei ist es geblieben. 24 Jahre war ich damals alt, ausgestattet mit einem herrlichen Übermaß an Selbstsicherheit, gepaart mit dem unbändig blöden Wunsch, als Künstler zu reüssieren. Ich hatte ein paar unveröffentlichte Texte vorzuweisen und war von der expressiven Kraft meiner Versuche dermaßen überzeugt, dass ich voller Enthusiasmus war, sie öffentlich vorzutragen. Das nennt man Chuzpe. Ich wollte schreiben, wie Jackson Pollock und Francis Bacon malten: exzessiv, wild, ungezügelt. Es ging nicht darum, die Welt zu verbessern, ich wollte nur eines: Künstler sein – frei. Das Einzige, woran ich glaubte, war an die eigene Bestimmung, dazu die vage Ahnung einer Vision von Kunst. Einer Kunst, die ein Gefühl von Wirklichkeit vermittelt, die brutal und hässlich, aber auch hochpoetisch und unerhört komisch ist. Franzobel ist entstanden aus der Zusammenziehung des Vornamens meines Vaters mit dem Mädchennamen meiner Mutter. Ich habe mir das Pseudonym angezogen wie eine zweite Haut, die mir mit den Jahren eingewachsen ist. Auch manche Muränen wechseln im Laufe ihres Lebens das Geschlecht.Anfangs war es schwierig, den irritierenden Namen zu behaupten. Herr Obel, Opel oder Zumtobel bekam ich oft zu hören, spätestens mit dem Gewinn des Bachmannpreises (1995) hat sich der Name etabliert. Mit der beschützenden Anonymität war es allerdings vorbei. Nur hin und wieder kommt es vor, dass ich Leuten mit meinem bürgerlichen Namen vorgestellt werde. Wenn ich denen bekannt vorkomme, sie mich fragen, was ich denn so mache, sie aber von einem Schriftsteller namens Stefan Griebl noch nie gehört haben, folgt Ratlosigkeit. Sobald der Name Franzobel fällt, schnackelts. Ja, den kennen sie selbstverständlich, gelesen haben sie noch nichts, aber . . .

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