Architektur

Wo geht’s zur Zukunft des Bauens?

Oft dauert es Jahrzehnte, bis Fehlkonstruktionen als Bauschäden oder gesellschaftliche Verwerfungen sichtbar werden.
Oft dauert es Jahrzehnte, bis Fehlkonstruktionen als Bauschäden oder gesellschaftliche Verwerfungen sichtbar werden.Stuart Franklin / Magnum Photos
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So wie das Recht und die Gesundheit darf auch der Raum nicht der völligen Kommerzialisierung überlassen werden. Eine Novelle des Ziviltechnikergesetzes und ihre Folgen.

Eine der schönsten Beschreibungen städtischen Lebens stammt von Robert Musil: Alle großen Städte bestünden aus Unregelmäßigkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschritthalten, Zusammenstößen von Dingen und Angelegenheiten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung aller Rhythmen gegeneinander und glichen im Ganzen einer kochenden Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhaften Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnungen und geschichtlichen Überlieferungen besteht. Häuser und Gesetze sind tatsächlich träge, aber auch sie ändern sich, und wenn man ihre Entwicklung im Zeitraffer betrachtet, sind diese Änderungen nicht weniger sprunghaft und von Verschiebungen und Verstimmungen geprägt als das Leben selbst. Ihre Wirkung ist nicht sofort spürbar. Gesetze werden beschlossen, Häuser gebaut, und oft dauert es Jahrzehnte, bis Fehlkonstruktionen Wirkung zeigen und als Bauschäden oder gesellschaftliche Verwerfungen zum Vorschein kommen.Vergangene Woche beschloss der Nationalrat eine Novellierung des österreichischen Ziviltechnikergesetzes, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nötig geworden war. Im Kern geht es um die Frage, wie sich Ziviltechniker, zu denen als Untergruppen Architekten und Ingenieurkonsulenten zählen, mit anderen wirtschaftlichen Akteuren zusammenschließen dürfen. Die EU fährt in dieser Frage eine liberale Linie: Was spricht dagegen, dass Architekten mit ausführenden Unternehmen eine GmbH gründen, um ihre Dienste aus einer Hand anbieten zu können?

Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker sind allerdings keine gewerblichen Unternehmer, sondern zählen zu den in Österreich sogenannten „Freien Berufen“, zu denen auch Ärzte, Notare und Rechtsanwälte gehören. Sie erbringen ihre Leistungen persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig im Interesse ihrer Auftraggeber und der Allgemeinheit. „Frei“ sind sie insofern, als sie nicht der Gewerbeordnung unterstehen; abgesehen davon sind sie gerade nicht frei, sondern gebunden an hohe Ausbildungsstandards und an die Mitgliedschaft in einer berufsständischen Vertretung, die diese Standards durch zusätzliche Prüfungen absichert. Ziviltechniker sind berechtigt, öffentliche Urkunden auszustellen, womit sie gewissermaßen als „technische Notare“ agieren, die ausgelagerte Behördentätigkeiten übernehmen. Schon bisher konnten sich Ziviltechniker zu GmbHs zusammenschließen. Das neue Gesetz erlaubt nun eine neue Kategorie von sogenannten „Interdisziplinären Gesellschaften“, an denen Ziviltechniker nur noch mindestens 50 Prozent der Anteile halten müssen. Die anderen 50 Prozent können von einem ausführenden Unternehmen,beispielsweise einem Baukonzern, gehalten werden. Die Ziviltechniker in solchen Gesellschaften werden sich kaum verweigern können, Beurkundungen für Projekte durchzuführen, die von ihren Gesellschaftern errichtet wurden, ein klassischer Fall eines Interessenkonflikts. Zum Selbstbild von Ziviltechnikern gehört außerdem, die Interessen von Bauherren, Nutzern und Öffentlichkeit an erste Stelle zu setzen, während Unternehmen grundsätzlich profitorientiert agieren. Als Bollwerk gegen die Kommerzialisierung des Bauens sind Interdisziplinäre Gesellschaften wohl kaum geeignet. Im Vorfeld der Beschlussfassung der Gesetzesnovelle versuchte die Berufsvertretung, „Gold-Plating“, also die Übererfüllung der EU-Vorgaben, zu korrigieren. Eine Beteiligungsmöglichkeit von Interdisziplinären Gesellschaften an „normalen“ ZT-Gesellschaften, die durch Verschachtelung eine völlige Verwässerung des „ZT-Anteils“ ermöglicht hätte, konnte abgewendet werden; die Beurkundungsfähigkeit blieb den Interdisziplinären allerdings erhalten. Bedeutet diese Entwicklung den Anfang vom Ende der Architektur? Natürlich nicht. Der Witz, dass das Architekturbüro der Zukunft eine Rechtsanwaltskanzlei mit angeschlossenem Zeichenraum sei, kursiert schon seit einem Vierteljahrhundert. Aber es geht hier um für sich genommen kleine Verschiebungen, die in Summe und auf lange Sicht betrachtet die Machtverhältnisse zugunsten eines rein wirtschaftlichen Denkens verändern.

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