Kommentar

Der Fall Anschober: Starke Schwäche?

Anschober werde in den nächsten Tagen wieder sein Amt ausüben, heißt es aus seinem Büro. Es ist ein Amt, das sich als Schlüsselministerium in der Bekämpfung der Pandemie herausgestellt hat, weshalb der Gesundheitszustand seines Trägers natürlich von Interesse ist.
Anschober werde in den nächsten Tagen wieder sein Amt ausüben, heißt es aus seinem Büro. Es ist ein Amt, das sich als Schlüsselministerium in der Bekämpfung der Pandemie herausgestellt hat, weshalb der Gesundheitszustand seines Trägers natürlich von Interesse ist. APA/HELMUT FOHRINGER
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Eine Zielscheibe für die Wut der Gesellschaft, Arbeiten unter enormem Druck und ohne Pausen. Wann darf ein Politiker Schwäche zeigen?

Ein Gesundheitsminister, der nicht gesund ist. Das soll vorkommen - ist es auch schon, im März dieses Jahres. Nun ist Rudolf Anschober erneut krank - und das sorgt insofern für Beunruhigung, als er mit dem Gesundheitsministerium ein Schlüsselministerium in der Coronakrise leitet. Es sei aber "nichts Gröberes“, kalmiert sein Büro. Und auch "kein Corona". Er werde noch diese Woche wieder zurück im Amt sein. "Kein Corona", die Zauberformel unserer Zeit, die wir von uns geben, um Mitmenschen zu beruhigen, wenn wir selbst krank sind, die wir vorweisen, um zum Friseur oder in die Arbeit gehen zu dürfen oder wenn wir die Eltern besuchen. Es gibt aber auch noch etwas anderes als Corona - und etwas nach Corona. Und das ist nicht weiter "grob"?

Spekuliert wird derzeit heftig. Darüber, was er bloß hat, wann er wiederkommen wird, es werden Gerüchte um einen nahenden Rücktritt laut (den die Grünen offiziell dementieren) und mögliche Nachfolger in den Raum gestellt. Wer diesen undankbaren Job annimmt, sei selber schuld - so die Meinung vieler -, wenn er an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit kommt. Wird dieser doch nicht nur im Mittelpunkt der Pandemiebekämpfung stehen, sondern auch im Mittelpunkt für Hass und Hetze, wird verantwortlich gemacht werden für neue Corona-Wellen, für Maßnahmen zu deren Eindämmung, für ganze Lockdowns, für Versäumnisse in der Impfstoffbeschaffung oder für Verzögerungen in der Impfstofflieferung. Er wird unter enormem Druck arbeiten müssen und sich wenig Pausen gönnen dürfen. Er wird ein Schiff durch stürmische Gewässer führen müssen, ohne zu wissen, wo unerwartet Klippen auftauchen.

Spekulationen, Sensationslust und Neugierde - zumal es sich dabei um eine Person des öffentlichen Lebens handelt - sind schwer vermeidbar. Was diese Diskussion aber auch sichtbar macht, ist, wie in diesem Land mit psychischen Belastungen umgegangen wird. Im Herbst 2012 hatte Anschober, damals Landesrat in der oberösterreichischen Landesregierung, Burnout. Er hat diese Krankheit damals auch öffentlich kommuniziert - und sich dadurch den heute vielerorts getätigten Vorwurf eingeholt, "einfach zu schwach" für sein aktuelles Amt zu sein.

Auch zwischen diesen Zeilen schwingen wohl oder übel Spekulationen mit, vielmehr aber die Überzeugung, dass nicht jeder einem derartigen öffentlichen Druck, einem Zielscheibe-Sein für die Wut der Gesellschaft so einfach standhalten kann. Im März danach gefragt, ob die Gefahr eines Burnouts wieder bestünde, sagte Anschober "Nein", es sei "nur ein Kreislaufkollaps aufgrund von Überarbeitung" gewesen. "Nur" ein Kreislaufzusammenbruch? „Nichts Gröberes"? Überarbeitung als Normalzustand? 

Covid-19 trifft uns alle noch auf einer ganz anderen Ebene: „Nach der Krise folgt die psychische Krise“, meinte der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Paul Plener im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Sie werde Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene treffen. Hinweise darauf muss man ernst nehmen, so der Psychiater. Dann werde es wichtig sein, Alarmsignale zu erkennen und Dinge beim Namen zu nennen. Man muss sie nicht relativieren oder totschweigen. Wir halten das schon aus, wir sind stark. Wir dürfen aber auch Schwäche zeigen.

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