Am Herd

Impfneid und Impffreud

Wie gerne wäre die Autorin geimpft!
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Ich bin gesund. Ich bin nicht alt. Ich kann im Home-Office arbeiten. Ich werde also noch warten, weil ich nämlich warten kann, auch wenn es mir immer wieder schwer fällt.

Ach, wie gerne wäre ich geimpft. Ach, das wäre wunderschön. Ein kleiner Stich in den Oberarm, ein Pieks, ein Stupser mit der Nadel – ein Jaukerl für mich, und alles wäre gut. Ich denke, ich werde auf Tischen tanzen, vielleicht nicht gleich, dort direkt, vor den Ärzten und Ärztinnen in der Impfstraße, aber später, zuhause, ich werde Champagner trinken und mit meinem gar nicht mehr damenhaften Schwips alle anrufen, die ich kenne. Hey! Geimpft! In vier Wochen komm ich dich besuchen. Oder in fünf. Oder sechs. Hängt ja auch vom Impfstoff ab.

Das dauert aber noch. Meine Güte, und wie das dauert! Und je länger es dauert, desto öfter spüre ich ihn, diesen kleinen Stich, nicht am Arm allerdings, sondern in der Kehle, nicht der Impfung, sondern des Neides. Fieser kleiner Neid. Andere kommen vor mir dran! Und die sind jünger! Der Sohn der Freundin einer Kollegin etwa. Letzte Woche war der Termin. Oder die Nachbarin schräg vis-à-vis. Die ist zwar etwa so alt wie ich, aber garantiert jünger als mein Mann, für den ich gleich mitneidig bin, ganz ordentlich mitneidig sogar, warum die und nicht er, er hatte immerhin einen Herzinfarkt! Nein, zwei!

Das ärgert mich, das ärgert mich so sehr, ich rufe meine Mutter an, mit der man sich so wunderbar empören kann, wir schimpfen wie die Rohrspatzen, und da fällt mir ein: Der Sohn der Freundin der Kollegin – der ist doch Zivildiener, oder? Und die Nachbarin ist am Wochenende nie zuhause. Sie pflegt nämlich ihre Tante.

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