Die Lage in der Ostukraine verschärft sich weiter: Kiew meldete einen toten Soldaten bei neuen Kämpfen. Deutschland fordert „Erklärung“ von Russland.
Moskau. Die Eskalation im Ukraine-Konflikt sorgt international zunehmend für Sorge: Am Sonntag wurde im Osten der Ukraine nach Militärangaben aus Kiew erneut ein Soldat von prorussischen Kämpfern erschossen. Ein weiterer Militärangehöriger sei bei dem „feindlichen Angriff“ verletzt worden, teilten die Streitkräfte in Kiew mit.
Die Positionen der ukrainischen Regierungstruppen wurden der Mitteilung zufolge seit gestern neunmal beschossen. Auch die von moskautreuen Separatisten kontrollierte Region Donezk warf dem ukrainischen Militär Angriffe vor. Die Spannungen in der Konfliktregion Donbass im Osten der Ukraine hatten sich zuletzt ungeachtet einer geltenden Waffenruhe stark verschärft.
Russland und die Ukraine, die in der Region Truppen zusammengezogen hatten, machten sich gegenseitig für die neue Eskalation in dem seit sieben Jahren andauernden Konflikt verantwortlich. Berichte über russische Truppenbewegungen in Richtung ukrainischer Grenze hatten zuletzt international Besorgnis ausgelöst. Der Kreml drohte zuletzt erstmals ganz offen damit, im Fall einer militärischen Offensive von ukrainischer Seite in den Konflikt einzugreifen.
Moskaus Militärdoktrin erlaubt einen solchen Schritt zum Schutz russischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im Ausland. Russland hat in den von Separatisten kontrollierten Regionen der Gebiete Luhansk und Donezk mehr als 400.000 Pässe an Bürgerinnen und Bürger ausgegeben.
Moskau nicht bei OSZE-Sitzung
Angesichts der Verschärfung der Lage wächst der Druck auf Russland. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte am Wochenende von Moskau eine Erklärung russischer Absichten. „Wenn Russland nichts zu verbergen hat, könnte es leicht erklären, welche Truppen wohin bewegt werden und zu welchem Ziel“, twitterte sie. Russlands Regierung konterte, dass es für Truppenbewegungen auf seinem Gebiet niemandem Rechenschaft schuldig sei.
Deutschland kritisierte zudem, dass Russland am Samstag nicht an einer Sitzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teilgenommen habe. In Wien wollte die Ukraine die Eskalation der Lage diskutieren. Russland habe als OSZE-Mitglied Verpflichtungen und müsse sich zu den Sorgen der anderen Staaten äußern, hieß es. „Russland muss deeskalieren und den Charakter seiner Truppenbewegungen in der Nähe der ukrainischen Grenze aufklären“, teilte die deutsche OSZE-Vertretung mit.
Auch die USA und die Nato hatten sich alarmiert gezeigt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij war am Samstag in die Türkei gereist, um seinen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan um Unterstützung zu bitten. Erdoğan sicherte Hilfe zu und rief zur Entspannung des Konflikts auf. Das Nato-Mitglied Türkei hatte 2014 die russische Annexion der Krim scharf kritisiert. (ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2021)