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„The Nevers“: Superheldinnen im Korsett

Nicht jede paranormale Begabung taugt als Superkraft: Die übergroße Primrose (Anna Devlin) lebt mit anderen Ausgestoßenen im Waisenhaus.
Nicht jede paranormale Begabung taugt als Superkraft: Die übergroße Primrose (Anna Devlin) lebt mit anderen Ausgestoßenen im Waisenhaus.HBO
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Einst erfand Joss Whedon „Buffy“, jetzt lässt er übersinnlich begabte Frauen im viktorianischen London um Akzeptanz kämpfen. Er selbst ist nach Vorwürfen zur Persona non grata geworden.

Mit Zauberkräften und übermenschlichen Gestalten kennt sich Joss Whedon aus. Mit Problemlösung eigentlich auch. Die Karriere des New Yorkers, der sich schon in seinen Zwanzigern als „Script Doctor“ verdingte, also als Autor, der mangelhafte Drehbücher repariert, hob an, als er zu den Machern von „Toy Story“ stieß: Er verlieh dem Drehbuch des Animationsfilms, das schon unzählige Male umgeschrieben und von manchen als „unschaubar“ bezeichnet worden war, den letzten Schliff. Das Ergebnis ist bekannt: „Toy Story“ wurde 1995 zum Kritiker- und Kassenhit.

Whedon schrieb da schon an seinem nächsten Streich: In der Serie „Buffy“ ließ er sieben Staffeln lang ein Teenagermädchen gegen Vampire kämpfen. Seine Kreation „Firefly“ (2002) wurde danach vom Sender Fox noch während der ersten Staffel abgesetzt – doch als DVD mauserte sich der Space-Western zum Kulthit. Bald wandte sich Whedon den Superhelden zu und inszenierte die ersten beiden „Avengers“-Blockbuster. Als in der Postproduktion von „Justice League“, dem Superteam-Kracher vom Konkurrenzverlag, der Regisseur Zack Snyder aus familiären Gründen ausstieg, sprang Whedon ein – und machte den Film gewissermaßen zu seinem: Für unerhörte 25 Millionen Dollar ließ er Szenen nachdrehen, schrieb das Drehbuch um. Was Snyder aus dem Film gemacht hätte, erschien kürzlich als vierstündiger „Director's Cut“. Whedons Version spielte 2017 über 650 Millionen Dollar ein, für das Studio blieb das ein Verlustgeschäft.

„Beiläufige Grausamkeit“

Nun ist es Whedon selbst, der ersetzt werden musste. An diesem Montag erscheint (in Übersee auf HBO, bei uns auf Sky) die Fantasy-Serie „The Nevers“, die sich um Frauen mit besonderen Fähigkeiten im viktorianischen London dreht. Mit der Bewerbung der Serie hält sich der Sender erstaunlich zurück, im offiziellen Marketing taucht der Name Whedons nicht auf – dabei ist er der Schöpfer, Co-Autor, Regisseur, Produzent, kurz: Der kreative Kopf des Projekts. Und zugleich ein in Hollywood in Ungnade Gefallener. Im November verließ er die Produktion, aus „Erschöpfung“ nach einem „Jahr nie dagewesener Herausforderungen“, wie er erklärte.

Schon im Juli waren Vorwürfe gegen ihn laut geworden. Der Schauspieler Ray Fisher beschuldigte Whedon, beim Dreh von „Justice League“ ein „ekliges, missbräuchliches, unprofessionelles und völlig inakzeptables Verhalten“ gezeigt zu haben. Einige Kollegen stimmten ein, die „Buffy“-Darstellerin Charisma Carpenter bezichtigte ihn etwa einer „beiläufigen Grausamkeit“. Der Warner-Konzern (zu dem auch HBO gehört) leitete eine Untersuchung ein. Kürzlich berichtete auch „Wonder Woman“-Darstellerin Gal Gadot von herablassendem Verhalten. Branchenmedien zufolge habe Whedon in einem Konflikt über eine Textstelle damit gedroht, Gadots Karriere zu ruinieren.

Ausgerechnet ein Fan- und Kritikerliebling, der lange für seine starken Frauenfiguren gefeiert wurde, ist durch sein angeblich toxisches und frauenfeindliches Gebaren zur Persona non grata geworden. „The Nevers“ ist immer noch unverkennbar sein Werk. Nicht nur, weil sich darin – wie schon in „Buffy“ – eine Frauenbande durch eine übernatürliche Welt schlägt. Auch, weil die Serie ihre Handlung ernst nimmt, die Figuren aber dennoch mit Ironie ausstattet. Im Zentrum der Erzählung steht die impulsive Amalia (Laura Donnelly), die ein Refugium leitet für jene (großteils) Frauen, die als „The Touched“ bezeichnet und von der Gesellschaft ausgeschlossen oder verfolgt werden: Ein Mädchen ist drei Meter groß, ein anderes spricht alle erdenklichen Sprachen, hat aber keine Kontrolle darüber. Penance (Ann Skelly) kann elektrische Spannungen spüren und baut als Erfindergenie Prototypen für ein Megaphon oder ein dreirädriges E-Auto.

Nur wenige dieser Fähigkeiten taugen als Waffe im superheldenhaften Sinne – und auch wenn immer wieder in Korsett und Spitzenrock gekämpft wird, so verhandelt die Serie doch vor allem das Anderssein mit seinen sozialen Folgen. Das Setting im London um 1900 ist dafür denkbar ergiebig: Hier echauffieren sich mächtige Männer beim Whiskey, dass die „natürliche Ordnung“ in Gefahr sei, und selbst der gutgesinnte Polizist (Ben Chaplin) bemerkt, dass Amalia gar keine „natürliche feminine Zurückhaltung“ gezeigt habe, als sie eine verrückte Messermörderin, selbst eine „Berührte“, die die Stadt terrorisiert, aus der Oper gejagt hat.

Im komplexen Geflecht aus Figuren und Nebenschauplätzen (ein hedonistischer Aristokrat betreibt etwa einen exklusiven Sexklub) ist der rote Faden nicht immer ersichtlich. Dennoch, auch dank toller Darsteller: Ein faszinierendes Serienerlebnis.

ZUR PERSON

Joss Whedon, 1964 in New York geboren, schuf u. a. die Serien „Buffy“, „Firefly“ und „Agents of S.H.I.E.L.D.“ und inszenierte zwei „Avengers“-Blockbuster. Aus seiner neuen Serie „The Nevers“ (ab 12. 4. auf Sky) stieg er im November nach Kontroversen aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2021)

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