An der ukrainischen Grenze marschieren die russischen Truppen auf. Die ganze Welt fragt sich, ob Putin diesmal mit voller Wucht angreifen wird.
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Es ist genau sieben Jahre her, seit das erste Blut des Donbass-Krieges vergossen war. Am 13. April 2014 war Palmsonntag in orthodoxer Glaubenstradition, ein großes Fest, der Vorgeschmack des kommenden Ostern. Doch eine Spezialeinheit der russischen Armee, geleitet vom FSB Oberst Igor Girkin, sorgte dafür, dass dieser Tag zum Vorgeschmack des kommenden Krieges wurde.
In der Nähe der ukrainischen Stadt Slovyansk überfielen Girkin und seine Mittäter aus einem Hinterhalt eine Gruppe der ukrainischen Offiziere, die in zwei PKWs unterwegs war und ausdrücklichen Befehl hatte: „Provokationen nicht erwidern“. Ukrainischer Offizier Hennadij Bilitschenko erlag dem Maschinengewehrfeuer und wurde so zum ersten Opfer der Kriegshandlungen in Donbass.
Stunden später hörte die ganze Ukraine Girkins abgehörtes Gespräch mit seinem „Kurator“ in Moskau, Aleksandr Borodai. Die beiden klangen recht begeistert. Girkin berichtete, „jemanden Großen haschiert“ zu haben. Ja, er benützte das russische Wort „pokroschit“ – „haschieren“. Als wäre Bilitschenko kein Mensch, sondern ein Stück Fleisch. Borodai erwiderte: „Gut gemacht! So lässt es sich das heilige Fest feiern!“ Dann fügte er hinzu: „Du hast doch in deiner Gruppe jemanden, der mit ukrainischem Akzent spricht? Lass ihn einen Pressekommentar machen und die Föderalisierung der Ukraine verlangen!“
Einige nennen ihn noch immer „Bürgerkrieg"
Wochen später wurden Girkin und Borodai, zwei in Moskau geborene russische Offiziere, die nicht im Stande waren, ukrainischen Akzent nachzuahmen, zu Gründern der sogenannten Donezker Volksrepublik. Borodai wurde „Ministerpräsident“. Girkin stieß später hinzu als „Verteidigungsminister“. So fing der Krieg an, den einige immer noch „Bürgerkrieg“ nennen.
Schon aus diesem dämonisch klingenden Gespräch zwischen Borodai und Girkin konnte man das Wichtigste über den kommenden Krieg erkennen: seine Verlogenheit, Grausamkeit und Hinterhältigkeit. Für mich war allerdings besonders bezeichnend, wie aufregend die beiden die Idee fanden, an einem christlichen Fest einen Ukrainer zu „haschieren“.
Sieben Jahre sind vergangen. Das Blut fließt weiterhin. Putin und Co. drohen mit viel mehr, indem sie an der ukrainischen Grenze die größte Militärgruppierung seit dem Zweiten Weltkrieg bilden. Die ganze Welt fragt sich, ob Putin diesmal mit voller Wucht angreifen wird. Ich hoffe nicht. Ich hoffe er versteht: in der Ukraine erwartet ihn alles andere als Blitzkrieg.
Mittlerweile publizierte der Kreml-nahe Politologe Timofej Sergeizew den Artikel „Die Ukraine, die wir nicht brauchen“, in dem er von kollektiver Schuld des ukrainischen Volkes vor Russland spricht und dazu aufruft, nach der Okkupation Strafaktionen gegen die ukrainische Bevölkerung im Rahmen des Militärrechts durchzuführen. Wollen die Dämonen dieses Krieges etwa schon wieder „das heilige Fest feiern“?
Dr. Olexander Scherba steht seit 1995 im diplomatischen Dienst der Ukraine und ist seit November 2014 Botschafter seines Landes in Österreich.