Gastbeitrag

Impfpflicht entspricht den Menschenrechten

Impfungen in ausreichender Zahl schützen nicht nur Geimpfte, sondern über den Herdeneffekt auch solche, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können
Impfungen in ausreichender Zahl schützen nicht nur Geimpfte, sondern über den Herdeneffekt auch solche, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden könnenAPA/dpa/Kay Nietfeld
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt dem Schutz der Allgemeinheit Vorrang vor dem Recht auf Privatleben. Was für Impfungen in Tschechien gegen Kinderkrankheiten gilt, müsste auch auf Anti-Corona-Impfungen anwendbar sein.

Schienen die Coronaleugner und -verharmloser durch ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Wien zum Versammlungsrecht jüngst juristisch Oberwasser zu bekommen, hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Zulässigkeit einer gesetzlichen Impfpflicht die Situation gedreht.

Auch wenn man sich politisch in Österreich und Deutschland (noch?) nicht traut, eine gesetzliche Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 anzuordnen, steht eine solche natürlich als erforderliche Maßnahme der Pandemiebekämpfung im Raum. In sechs verbundenen Fällen (Vavřička gg. Tschechische Republik, Beschwerde No 47621/13 ua) nahm der Europäische Gerichtshof erstmals überhaupt zur Zulässigkeit einer gesetzlichen Impfpflicht Stellung.

115 Euro Geldstrafe in Tschechien

Tschechien verpflichtet die Eltern, Kinder gegen neun typische Kinderkrankheiten impfen zu lassen. Zu diesen zählen unter anderem Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Masern und Mumps. Weigern sich Eltern ohne spezifische medizinische Begründung, ihre Kinder impfen zu lassen, machen sie sich strafbar; zudem werden die Kinder vom Kindergartenbesuch ausgeschlossen. Im Fall Vavřička wurde eine Geldstrafe von 3000 Kronen, rund 115 Euro, verhängt.

Die Beschwerdeführer bekämpften den Ausschluss vom Kindergartenbesuch und die Strafen unter Hinweis auf den Schutz der Privatsphäre nach Art 8 EMRK. Wie viele Leute heute in der derzeitigen Pandemiesituation verkannten auch sie, dass Grundrechte nicht schrankenlos sind. So kann die Privatsphäre nach Art 8 Abs 2 EMRK durch Gesetz eingeschränkt werden, wenn dies zum Schutz der Gesundheit anderer notwendig ist.

Schutz des Privatlebens berührt

Der EGMR sieht durch eine unfreiwillige Impfung zwar Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention berührt, der das Privatleben, hier die körperliche Unversehrtheit, schützt. Die Große Kammer des Gerichtshofs wendet in der Folge das klassische Fallprüfungsschema zur Zulässigkeit von Grundrechtseinschränkungen an. Der notwendige Gesundheitsschutz und der Schutz von Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können und daher auf den Herdenschutz angewiesen sind, geben dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser ermöglicht prinzipiell auch die Anordnung einer Impfpflicht. Dabei müsse berücksichtigt werde, dass die relevanten medizinischen Fachleute die Impfpflicht als auch im Sinne der Public health für dringend erforderlich halten. Sie entspräche damit jedenfalls dem Kindeswohl.

Da die Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen gewährleistet sei und die Impfpflicht nicht durch körperlichen Zwang, sondern durch Strafen und Ausschluss (lediglich) vom Kindergartenbesuch durchgesetzt werde, sei ihre Umsetzung auch verhältnismäßig. Die Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht sei auch trotz des Umstands gegeben, dass bei den von den Beschwerdeführern bekämpften Impfungen es in immerhin fünf bzw sechs von 100.000 Fällen (schwere) Impfzwischenfälle eintreten.

Mögliche Auswirkungen für Österreich

Die Anordnung einer gesetzlichen Impfpflicht, zB gegen Masern, aber natürlich auch gegen SARS-CoV 2, ist somit grundrechtlich erlaubt, ebenso der Ausschluss Ungeimpfter von Tätigkeiten, bei denen sie andere Menschen gefährden könnten.

Der Gesetzgeber kann die Durchsetzung einer Impfpflicht durch Strafen absichern.

Als deutlich niederschwelligere Maßnahme ist daher die Anordnung einer Testpflicht jedenfalls grundrechtskonform.

Arbeits- und dienstrechtliche Sanktionen möglich

Arbeits- und dienstrechtlich eröffnet das Urteil des EGMR auch Möglichkeiten, gegen Impfverweigerer vorzugehen: Das geht von der Zulässigkeit, zum Schutze von Arbeitskollegen und Kunden lediglich geimpfte Personen einzustellen, über das Recht, bereits beschäftigte Verweigerer zumindest zu kündigen, wenn nicht zu entlassen, sollten sie eine Impfung ohne individuelle medizinische Notwendigkeit ablehnen.

Für Impfverweigerer könnte das Leben in Zeiten von Pandemien einsam werden: Können sie auf Kontakte zu Arbeitskollegen und Kunden verzichten, bleiben sie der Arbeitswelt erhalten; von organisierter Freizeitgestaltung sind sie ausgeschlossen, zumal ja auch jeder Veranstalter seine Kunden zu schützen hat und daher Ungeimpften (oder nicht nachweislich aktuellst negativ Getestete) den Zutritt verweigern wird müssen.

Dem österreichischen Gesetzgeber (und den Coronaverharmlosern) sei Art 2 EMRK ins Stammbuch geschrieben: Der Staat hat (im Sinne von „muss“) das Leben seiner Bürger zu schützen und muss daher taugliche gesetzliche Mittel zur Pandemiebekämpfung einsetzen.

Zum Autor

Dr. Karl Krückl, MA LL.M emeritierter Rechtsanwalt und Of Counsel der Bruckmüller RechtsanwaltsgmbH in Linz.

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