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Nach der verschwendeten Jugend: Neues Album von London Grammar

An der Uni Nottingham gegründet: das Trio London Grammar.
An der Uni Nottingham gegründet: das Trio London Grammar.Universal (c) Alexandra Waespi
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Der hoch melodiöse Indie-Pop der britischen Band London Grammar wirkt auf dem dritten Album „Californian Soil“ nachdenklicher als früher. Sängerin Hannah Reid erklärte der „Presse“, wie das kommt.

Kennengelernt haben sich die Mitglieder von London Grammar an der Universität von Nottingham. In diesem im Osten der englischen Midlands gelegenen Städtchen dürfte ganz schön die Wut hochkochen. Immerhin sind die Sleaford Mods, die das Schimpfen zu einer Kunstform gemacht haben, und der zornige Gitarrenrocker Jake Bugg von dort.

Deutlich eleganter drückt die in London geborene Hannah Reid, die 30-jährige Sängerin von London Grammar, ihre Frustration aus. Doch mit ihrer sanften, flexiblen Stimme transportiert sie durchaus harte Botschaften. Etwa im gospeligen „Lord It's A Feeling“, das mit Glockenspiel und sanften Synthieflächen anhebt. Dann setzt Reids etwas mysteriöser Gesang ein. Sie ringt mit dem schweren Abschied von einer Illusion, mit einem sie manipulierenden Lover. Erst zählt sie Indizien auf: „I saw the way you made her feel like she should be somebody else“, heißt es da recht zart. Irgendwann schlägt ihre Stimme um, entwickelt Kraft und klagt an. Gegen Ende umspielen einander halliger Keyboardsound und dramatisch verklingende Singstimme. Ein Happy End klingt anders.

„Das konnte es hier gar nicht geben“, erklärt Reid: „Immerhin geht es in dem Lied um seelischen Missbrauch in einer Beziehung. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir die ambivalenten Gefühle musikalisch adäquat umsetzen konnten. Wir haben viel mit Rhythmen und Synthesizersounds experimentiert, bis wir alle zufrieden waren.“

Das Tüfteln hat sich ausgezahlt. „Californian Soil“, das dritte Album von London Grammar, ist ihr bislang bestes. Auf bewundernswerte Weise meistert die Band das fragile Gleichgewicht zwischen Elektronik und symphonischen Sounds, erzeugt Spannung in diesem sich permanent verschiebenden Kraftfeld. Auch die Texte funktionieren auf mehreren Ebenen. So passt „Lord It's A Feeling“ auch auf die Situation von Frauen im männlich dominierten britischen Musikbusiness. Darauf, wie Künstlerinnen rekrutiert und wieder fallen gelassen werden. London Grammar sind 2013 sehr jung sehr erfolgreich geworden und haben dabei nicht immer die Kontrolle über ihre Geschicke gehabt. Die Zeile „I saw the way you made her feel like she should be somebody else“ könnte sich also auch auf die Svengalis der Musikindustrie beziehen, die cleveren Drahtzieher, die sich einen Spaß aus dem Erschaffen und Zerstören von Popstars machen. Hannah Reids alte Losung „I'm wasting my young years, it doesn't matter“, die sie 2013 in ihrem ersten Chartsong „Wasting My Young Years“ so leidenschaftlich sang, hat wohl für sie an Glanz verloren. „An einem bestimmten Punkt meiner Karriere habe ich meine Gesundheit geopfert, was nicht gut war“, sagt sie: „Nicht jeder kann permanent auf Tour gehen. Ich gehöre zu jenen, die viel Zeit zu Hause verbringen müssen, um sich wohlzufühlen.“

Auf dem neuen Album reflektieren London Grammar auch die ausgedehnte Amerika-Tournee nach ihrem zweiten Album. Von Amerikaklischees hat Reid, die sich ursprünglich von US-Stars wie Whitney Houston, Stevie Nicks und Christina Aguilera inspirieren ließ, genug. Sowohl der Titelsong „Californian Soil“ wie „America“, das in seiner schwebenden Ästhetik an Lana Del Rey erinnert, handeln vom Wert der eigenen Gefühle, die von Grenzüberschreitungen seitens anderer Menschen bedroht sind. „They keep on trying it“, singt Reid mit einer Stimme, die Glas schneiden könnte. „Leute respektieren deine Grenzen nicht und nützen dich aus“, erklärt sie: „Ich war lange Zeit nicht in der Lage, für meine Bedürfnisse einzustehen. Das hat mir viel Energie geraubt.“

Neues Selbstvertrauen

Die Energie ist mittlerweile wieder da. Reid hört auf keine Einflüsterer mehr. Die melodiöse Musik, die popmusikalische Amtskappeln gern unter dem Terminus Indietronica rubrizieren, strahlt dieses neue Selbstvertrauen aus. Die Rhythmen, die nie zu hektisch werden, geben dem Sound auf unmerkliche Art Erdung.

Reid komponiert nicht nur, wenn es darum geht, ein Album aufzunehmen. Es ist ihr vielmehr zur täglichen Übung geworden, wie ihre Meditation. Über die Zukunft macht sie sich Gedanken, aber keine Sorgen: „Es splittet sich alles auf. Es gibt Künstler, die von Streaming leben, solche, die viele Tonträger verkaufen und schließlich welche, die hauptsächlich von ihren Auftritten leben. Es gibt nicht mehr nur ein einziges Karrieremodell. Dennoch ist es unerlässlich, dass die Streamingplattformen fairer mit den Künstlern umgehen. Wenn man sich ständig ums Geld sorgen muss, kann in der Kunst nichts Gescheites herauskommen.“ Gut, dass London Grammar da wenig Sorgen haben müssen. Ihre Alben schlagen verlässlich ganz oben in den Charts ein.

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