Der ökonomische Blick

Mit mehr Gleichstellung aus der Covid-19-Krise

Die aktuelle Krise dürfte die Ungleichheit noch weiter erhöht haben, auch weil Frauen den überwiegenden Teil der zusätzlichen Betreuungsaufgaben übernehmen.
Die aktuelle Krise dürfte die Ungleichheit noch weiter erhöht haben, auch weil Frauen den überwiegenden Teil der zusätzlichen Betreuungsaufgaben übernehmen.imago images/Jochen Tack
  • Drucken

Durch die Beseitigung von Gender-Schieflagen ergeben sich laut einer aktuellen Wifo-Studie ökonomische Wachstumseffekte.

von Julia Bachtrögler-Unger, Julia Bock-Schappelwein, Paul Eckerstorfer, Peter Huber , Christine Mayrhuber, Gerhard Streicher, Mark Sommer

Gleichstellung leitet sich aus den Menschenrechten ab. Darauf aufbauend ist die Gleichstellung von Frauen und Männern sowohl in internationalen Vereinbarungen als auch in nationalen Bestimmungen (Bundesverfassung) festgehalten. Ein Instrumentarium zur Forcierung gleichstellungspolitischer Maßnahmen ist Gender Budgeting, das die Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten bei der Planung und Vollziehung der öffentlichen Haushalte vorsieht. Dieses Instrument wird seit 2013 auf Bundesebene angewendet, die Stadt Wien setzt es bereits seit 2005 ein.

Die Gleichstellung von Frauen und Männern umfasst vielschichtige Dimensionen, die beispielsweise vom Zugang zu finanziellen Ressourcen über soziale und kulturelle Anerkennung bis hin zur gleichen Teilhabe an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen reichen. Ein in der öffentlichen Diskussion bisher allerdings nur wenig beachteter Aspekt ist das zusätzliche ökonomische Wachstum, das durch eine verbesserte Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht werden kann. Dieses wurde von der OECD und dem Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) für die EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, quantifiziert und vom Wifo im nationalen Kontext untersucht.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

>>> Alle bisherigen Beiträge

Demnach würde das österreichische BIP pro Kopf gemäß Simulationsergebnissen der EIGE-Studie "Economic Benefits of Gender Equality in the European Union" (2017) bei raschem Fortschritt der Geschlechtergleichstellung im Jahr 2030 um bis zu 7,0 Prozent höher ausfallen als ohne solchen Fortschritt, im Jahr 2050 könnte es um bis zu 18,8 Prozent höher sein (die Detailergebnisse wurden dem Wifo zur Verfügung gestellt; siehe Wifo-Monatsbericht 93(12)). Dabei resultiert das zusätzliche Wachstumspotenzial vor allem aus einer (weiter) steigenden Arbeitsmarktintegration von Frauen, die sich u. a. aus einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergibt, und einer weiter zunehmenden Zahl an Absolventinnen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Weitere Mechanismen, die sich positiv auf die Wertschöpfung auswirken, sind die Schließung des Gender Pay Gap sowie längerfristig eine – unter der Voraussetzung besserer Rahmenbedingungen – steigende Geburtenrate.

Das Wifo entwickelte für die Stadt Wien einen mehrstufigen methodischen Ansatz zur Schätzung des ökonomischen Nutzens von einzelnen Gender Budgeting-Maßnahmen. Die Befunde zeigen, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Wachstumsmotoren sind. Beispielsweise erhöhte der per 1. September 2009 eingeführte beitragsfreie Kindergarten die Erwerbsquote der 20- bis 39-jährigen Frauen mit Kind(ern) unter sechs Jahren um 1,5 Prozentpunkte. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass die Einführung des beitragsfreien Kindergartens es zusätzlich rund 1.000 Frauen ermöglichte, eine Erwerbsarbeit zu suchen und großteils auch zu finden. Makroökonomische Modellschätzungen ergaben darüber hinaus, dass die öffentlichen Ausgaben der Stadt Wien für den beitragsfreien Kindergarten mit einer Wertschöpfung in Österreich von rund 400 Mio. Euro verbunden sind, wovon fast 300 Mio. Euro auf Wien entfallen (das entspricht 0,3 Prozent der nominellen Wiener Wertschöpfung 2017). Damit ist der Wertschöpfungseffekt der öffentlichen Ausgaben für den beitragsfreien Kindergarten in Wien höher als für den übrigen öffentlichen Konsum.

Darüber hinaus ging durch diese Maßnahme der Anteil der Frauen zurück, die unter ihrer formalen Qualifikation beschäftigt sind. Eine stärker ausbildungsadäquate Beschäftigung der Frauen spiegelt sich in höheren Erwerbseinkommen und damit einer höheren finanziellen Eigenständigkeit wider.

In der durchgeführten Studie wurden zahlreiche weitere Gender-Budgeting-Maßnahmen identifiziert, die dazu beitragen können, das Wachstumspotential durch erhöhte Gleichstellung in der Stadt Wien auszuschöpfen. Die Ergebnisse der Wifo-Studie verdeutlichen, dass – auch aus rein ökonomischen Überlegungen – die Gleichstellung von Frauen und Männern stärker verfolgt werden sollte. Die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern war in Österreich schon vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie hoch, wie der aktuelle „Gleichstellungsindex Arbeitsmarkt“ des Wifo zeigt. Dabei handelt es sich um einen im Jahr 2015 von Wifo gemeinsam mit dem AMS Österreich entwickelten Index, der zuletzt für das Referenzjahr 2019 unmittelbar vor Ausbruch der Pandemie aktualisiert wurde.

Ungleichheit weiter erhöht

Die aktuelle Krise dürfte die Ungleichheit noch weiter erhöht haben, weil Frauen überproportional in krisengeschüttelten Dienstleistungsbereichen beschäftigt sind und den überwiegenden Teil der zusätzlichen Betreuungsaufgaben übernehmen. Das zusätzliche ökonomische Wachstumspotential, das aus einer stärkeren Gleichstellung abgeleitet werden kann, sollte daher für den Weg aus der aktuellen Krise genutzt werden. Der Gleichstellungsaspekt sollte bei der Ausgestaltung von weiteren Maßnahmen zur Krisenbewältigung und Konjunkturstärkung explizit berücksichtigt werden. Dies sowohl im Rahmen nationaler Programme als auch beim Abruf von Mitteln aus dem langfristigen EU-Haushalt und der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität, die auch die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter zum Ziel haben. Das bereits bestehende Instrumentarium des Gender Budgetings sollte zur Forcierung dieses Prozesses gezielt eingesetzt werden.

Links:

Link zu Wifo-Monatsbericht 93(12): https://www.wifo.ac.at/pubma-datensaetze?detail-view=yes&publikation_id=66733

Link zur Wifo-Studie im Auftrag der Stadt Wien (inkl. Executive Summary): https://www.wifo.ac.at/news/der_oekonomische_nutzen_von_gender_budgeting_in_wien

Die Autorinnen und Autoren

Julia Bachtrögler-Unger ist Ökonomin im Forschungsbereich "Strukturwandel und Regionalentwicklung" am Wifo. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Analyse wirtschaftspolitischer Maßnahmen im regionalen Kontext, regionale Entwicklung sowie die EU Struktur- und Kohäsionspolitik.

Julia Bock-Schappelwein ist Ökonomin im Forschungsbereich „Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit“ am Wifo und beschäftigt sich mit arbeitsmarkt-, bildungs- und migrationsspezifischen Fragestellungen. Aktuelle Schwerpunkte: Gender, Digitalisierung und Arbeit.

Paul Eckerstorfer ist Ökonom im Budgetdienst des Parlaments. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich der Öffentliche Finanzen, mit einem Fokus auf steuerpolitische Fragestellungen. Aktuelle Schwerpunkte: Budgetäre Folgen der Covid-19-Krise, Ökologisierung des Steuersystems.

Peter Huber ist Ökonom im Forschungsbereich "Strukturwandel und Regionalentwicklung" am Wifo und beschäftigt sich mit regionaler Arbeitsmarktentwicklung und Migration.

Christine Mayrhuber ist Ökonomin im Forschungsbereich „Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit“ am Wifo mit Forschungsschwerpunkten Sozialversicherung, Gender und Verteilung.

Gerhard Streicher ist Ökonom im Forschungsbereich „Strukturwandel und Regionalentwicklung“ am Wifo mit Forschungsschwerpunkten im Bereich der multiregionalen Input-Output-Modellierung. Anwendungen sind etwa die Analyse der Auswirkungen von Sanktionen im Außenhandel, von Ausbaumaßnahmen in der Donauschifffahrt oder der „Bio-based Economy“.

Mark Sommer ist Experte in der Modellierung von multisektoralen makroökonomischen Modellen und Energiesystemen am Wifo. Zu seinen Forschungsthemen zählen die Transformation von Energiesystemen, Emissionen und erneuerbare Energietechnologien.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der ökonomische Blick

Österreichs Kampf gegen die Inflation ist teuer, klimaschädlich und nicht treffsicher

Österreich befindet sich bei Ausgaben gegen die Inflation im Vergleich von 29 europäischen Ländern an fünfter Stelle. Zu einem großen Teil sind die Maßnahmen jedoch kontraproduktiv für die Klimaziele und nicht treffsicher. Wie das in Zukunft verhindert werden könnte.
Der ökonomische Blick

(Was) verlieren Arbeitnehmer, wenn sie ein paar Monate lang nicht arbeiten gehen?

In unserer jüngsten Studie untersuchen wir die Folgen einer vorübergehenden Abwesenheit vom Arbeitsplatz auf die langfristige Lohnentwicklung ungarischer Arbeitnehmer:innen. Und kamen zu zwei wesentlichen Ergebnissen.
Der ökonomische Blick

Wie der Mietpreisdeckel in der Bevölkerung gesehen wird

Unter Ökonomen besteht ein hoher Konsens darüber, dass die aktuell intensiv diskutierten Mietregulierungen ineffizient sind. Doch welche Effekte dieser Maßnahme sind für die Bevölkerung wichtig und für die hohe Unterstützung in der Öffentlichkeit ausschlaggebend?
Der ökonomische Blick

Wie die Corona-Pandemie Österreichs Immobilienmarkt beeinflusst hat

Wie haben sich Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Veränderungen in den Arbeitsbedingungen auf den österreichischen Immobilienmarkt ausgewirkt? Eine Bilanz.
Der ökonomische Blick

Sprache und Integration: Die langfristigen Wirkungen der Schulpolitik

Programme für neu eingetroffene Flüchtlinge und Migranten gelten als besonders erfolgreich, wenn sie einen starken Schwerpunkt auf Sprachtraining setzen. Eine empirische Studie aus den USA legt nun nahe, dass die erzwungene Sprachwahl an der Schule nach hinten losgehen kann.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.