Leitartikel

Rudolf Anschobers entscheidende Stunde

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Er hatte zuletzt die anstrengende Rolle des ständigen Mahners. Nun tritt der Gesundheitsminister zurück – und das ist gut so. Nicht nur für ihn selbst.

Rudolf Anschober hat die Pandemie oft mit einem Marathon verglichen. Nun gibt er selbst vor dem Zieleinlauf das Staffelholz weiter. „Ich will mich nicht kaputtmachen“, begründete der Gesundheitsminister seinen Rücktritt. Nach 14 Monaten ohne einen „einzigen wirklich freien Tag“ sei er überarbeitet, überlastet. Ein Kreislaufkollaps vor einem Monat – damals hieß es noch offiziell: übergangene Grippe – sei eine erste Warnung gewesen, der zweite folgte vor einer Woche.

Der Rückzug ist der richtige Schritt. Zunächst auf der persönlichen Ebene, aber auch darüber hinaus. Ein Gesundheitsminister, der nicht auf seine Gesundheit schaut, wäre ein schlechtes Signal – gerade in Zeiten, da viele am Rande ihrer Belastbarkeit sind. Und ein Gesundheitsminister, der in der Krise nicht voll einsatzfähig ist, wäre zudem ein Risiko. Eigentlich müsse es in jedem Beruf möglich sein, sich eine Auszeit zu nehmen, sagte Anschober. Und dass das eigentlich auch für einen Minister gelten müsse. Aber im Akutfall gibt es kein „eigentlich“.

14 Monate durcharbeiten: Kann das wer?

Anschober ist es sichtbar und hörbar nicht leichtgefallen, sich einzugestehen, dass er gerade nicht leisten kann, was er leisten muss. Dass er es dennoch tat, ist ihm hoch anzurechnen. Auch Pflichten abzugeben zeugt von Pflichtbewusstsein.

Wobei es Anschober wichtig war zu betonen, dass es sich um kein Burn-out handelte wie vor neun Jahren, sondern dass es schlicht zu viel war: Das Arbeitspensum, aber auch der Verlust der Unbefangenheit durch Morddrohungen, Angriffe auf sein Umfeld.

Natürlich lag die Überlastung auch an ihm selbst. Er hätte es sich etwas leichter machen können: weniger Interviews, weniger Termine. Aber vielleicht ist man, gerade wenn man das Pickerl „Burn-out“ auf der Stirn kleben hat, versucht, zu beweisen, dass man besonders viel leisten kann. Und vielleicht hat es einer, der es stets konsensual anlegt, der Fehler bei sich selbst sucht und sich entschuldigt, in der Politik besonders schwer. Wobei man sich fragen muss: 14 Monate durcharbeiten – hätte das denn irgendjemand anderer gekonnt?

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