Mentale Gesundheit

Politik und Psyche: Ein Rücktritt als Tabubruch

Systemrelevant, aber keine Pause vergönnt: Bundeskanzler Sebastian Kurz (Mitte, ÖVP) und der scheidende Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne, rechts).
Systemrelevant, aber keine Pause vergönnt: Bundeskanzler Sebastian Kurz (Mitte, ÖVP) und der scheidende Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne, rechts).(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Während die Pandemie für bestimmte Berufsgruppen Empathie erzeugt, fehlt sie im Umgang mit Politikern zumeist. Deren tägliche Entscheidungen müsse man jedoch „beim Einschlafen erst einmal aushalten“, sagt Arbeitspsychologe Christian Korunka.

Systemrelevanz ist der Begriff, mit dem wir seit 14 Monaten nach Bedeutung klassifizieren. Das Personal auf Intensivstationen, Pädagogen, Polizei – sie alle gelten zu Recht als besonders krisenentscheidend. Eltern mit betreuungspflichtigen Kindern oder unschuldig arbeitslos gewordene Menschen stehen ebenfalls an der Spitze der Aufmerksamkeit. Von Empathie und Nachsicht meist ausgespart bleibt dabei eine Gruppe, deren Arbeitspensum aber durchaus vergleichbar wäre: Die Bundesregierung fehlt in dieser Hierarchie.

Dankbarkeit ist keine Kategorie der Politik – das wusste nicht erst Bruno Kreisky. In der schwersten Gesundheitskrise seit 100 Jahren ist sie es schon gar nicht. Als Gesundheitsminister machte Rudolf Anschober im letzten Jahr am schnellsten etwas falsch und am seltensten etwas wirklich richtig. Worauf jedoch nur selten ein Echo folgte: Vor jeder getroffenen Maßnahme wusste der baldige Ex-Minister bereits, welche gravierenden Auswirkungen sie auf das Leben vieler Menschen haben wird.

„Jede dieser Entscheidungen hat im Extremfall Auswirkungen auf Leben und Tod“, sagt Arbeitspsychologe Christian Korunka. „Das muss man am Abend beim Einschlafen erst einmal aushalten.“ An der Fakultät für Psychologie der Uni Wien leitet Korunka den Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie. Er sitzt auch im Future Operations Clearing Board des Bundeskanzleramts.

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