Der Reiz der Bausünden

Originelle Bausünden sind besser als ihr Ruf. Dieser Meinung ist zumindest Architekturhistorikerin Turit Fröbe, die nach ihrem Bestseller "Die Kunst der Bausünde" nun mit "Eigenwillige Eigenheime" die Bausündenkultur im Einfamilienhausgebiet unter die Lupe nimmt.
Gera: Potemkinsches Dorf.

Fröbe nimmt sich den Bausünden bereits 20 Jahre an. Für sie sind sie Ausdruck des Individualismus. Mit ihrer fantasievollen Gestaltung würden Eigenheimbesitzer dafür sorgen, "dass das Flanieren in den Siedlungen unserer Städte so wunderbar abwechslungsreich und inspirierend ist. Wie langweilig wäre es, wenn niemand den Mut hätte, aus der Reihe zu tanzen, und alle in uniformen Häusern mit den immer gleichen Vorgärten, Zäunen und Garagen leben würden!", schreibt sie in der Einleitung ihres Buches.
Potsdam: Eine nette Nachbarschaft kann gleich mit dazu erfunden werden.

Vor dem Urteil "Bausünde" ist dabei kaum jemand gefeit. Denn Bausünden begehen gemeinhin immer nur "die anderen", wie Fröbe weiß. Dabei sind Bausünden besser als ihr Ruf. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrer Genese und auch in ihrer Qualität. Zweimal hinzuschauen, zahle sich aus, so die Autorin. Gute Bausünden sprengen den Kontext, sie tanzen aus der Reihe. Die Autorin hat dabei eine Faustregel aufgestellt: "Je mehr Ablehnung, Unverständnis und Wut eine Bausünde beim Betrachter auslöst, umso wahrscheinlicher ist es, dass es sich um eine gute Bausünde handelt."
Obernberg/Inn (Österreich): Bayrisches Barock meets Tausendundeine Nach.

In den Städten sind Bausünden mittlerweile kaum noch zu finden, meint die Autorin. Dort würde hauptsächlich "langweilige, banale Investorenarchitektur" vorherrschen. Ganz anders sehe das in den Einfamilienhausgebieten aus. "Alles, was möglich ist, ist erlaubt und findet Nachahmer, bietet Anregung und setzt wiederum Ideen frei, die andere zu kreativen Höchstleistungen anspornen", schreibt sie weiter.
Göttelborn: Schizohaus mit zwei Gesichtern.

Gute Bausünden sind rar und fast so schwer zu finden wie gute Architektur, meint die Architekturhistorikerin weiter. Schlechte Bausünden hingegen sind langweilig, nichtssagend und austauschbar.
Bad Saarow: Wäre gern eine Ritterburg.

Berlin: Auch Hobby oder Beruf lassen sich als Botschaft in den öffentlichen Raum tragen.

Kiel: Ein Haus wie eine Sehstörung.

Mönchengladbach: Dass Garten und Fassade ein durchkomponiertes Gesamtkunstwerk bilden, wird immer seltener.

Turit Fröbe: Eigenwillige Eigenheime. Die Bausünden der anderen. 160 Seiten, 160 farbige Abbildungen. Erschienen im Dumont-Verlag.