Textillogistik

Nachhaltig, weil rückverfolgbar

India, fair trade textile units INDIA Tirupur , fair trade textile units , Century Apparels produces organic and fairtra
India, fair trade textile units INDIA Tirupur , fair trade textile units , Century Apparels produces organic and fairtra(c) imago images
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Der öffentliche Druck auf Unternehmen, für transparente Lieferketten in der Textilbranche zu sorgen, wächst. Die Blockchain-Technologie nährt die Hoffnung, die geforderte Transparenz zu schaffen.

Bei einem Kleidungsstück herauszufinden, unter welchen Produktionsbedingungen und Umweltstandards es hergestellt wurde, ist schwierig bis unmöglich. Hochkomplexe globale Lieferanten-Netzwerke, wie sie in der Textilbranche üblich sind, umfassen Akteure aus verschiedenen Ländern und Kontinenten. Unterschiedliche Dokumentationsplattformen führen zu Brüchen in der Nachvollziehbarkeit. Der Nachweis der Einhaltung von Compliance-Vorgaben in Form von Umwelt-, Sozial und Sicherheitsstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette wäre nur durch eine regelmäßige und kostenintensive Auditierung möglich. Das ist für viele beteiligte Unternehmen schlicht zu teuer. Dazu kommt, dass Unternehmen nur ungern den wettbewerbsstrategischen Vorteil des eigenen, anonymisierten Lieferantenpools aufgeben wollen – was die Kooperation mit anderen Akteuren behindert.

Zertifikate und Textilsiegel, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, versuchen Licht in das Dunkel zu bringen, werden aber von einem Großteil der Textilunternehmen nicht integriert. Die Branche steht damit vor einem Dilemma. Auf der einen Seite sind Maßnahmen für mehr Transparenz nicht gewünscht, zu aufwendig oder manipulationsanfällig. Auf der anderen Seite wächst der Druck der Öffentlichkeit in Form einer stark ansteigenden Nachfrage der Endkunden nach umweltfreundlichen, sozial fair produzierten Kleidungsstücken.

Digitale Identitäten

Die Aufgabe klingt wie die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau: Es gilt, ökologische und soziale Transparenz zu schaffen, dabei den Aufwand der Zertifizierungsprozesse klein zu halten und zugleich die Anonymität von Lieferanten zu bewahren. Dass dies alles technologisch lösbar ist, weiß Thomas Müller, Mitbegründer der Blockchain-Infrastruktur Evan.network: „Man erstellt für alle beteiligte Lieferanten digitale Unternehmensidentitäten, die von einer vertrauenswürdigen Instanz (z. B. TÜV) zertifiziert werden. Die Produktionschargen dieser zertifizierten Lieferanten werden mittels digitaler Produktpässe ebenfalls digital identifizierbar und mithilfe der Blockchain fälschungssicher zertifiziert.“

Die Anonymität der beteiligten Lieferanten bleibt dabei bestehen, da nicht der jeweilige Name, sondern lediglich der Zertifizierungsstatus der Charge dokumentiert und eingesehen wird. „Durch einen fälschungssicheren Nachweis des Ursprungs der Zertifizierung werden Transparenz und Vertrauen in der Lieferkette geschaffen und gleichzeitig die Datenhoheit der beteiligten Akteure gewahrt“, sagt Müller.

Bereits Ende 2018 nutzte der Textildiscounter KiK das Evan.network im Rahmen eines Pilotprojektes zur Abbildung einer Lieferkette zur Herstellung von T-Shirts. Dabei wurden verschiedenen Lieferanten über den Evan.network Verification Service digitale Zertifikate zugewiesen. Anhand eines konkreten Auftrags konnten diese Zertifikate zu einem chargenbezogenen digitalen Ausweis zusammengefasst und in anonymer Form direkt per QR-Code am T-Shirt abgerufen werden. „Dem Kunden im Geschäft ist es damit möglich, Informationen zum Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette auf Basis einer Charge zu erhalten. Er sieht, in welchen Ländern und unter welchen Produktionsumständen das Kleidungsstück gefertigt worden ist“, erklärt man bei KiK. Benötigt wird lediglich ein QR-Scanner auf einem Smartphone oder Tablet.

Auf der Spur der Faser

Seit 2019 setzt die österreichische Lenzing-Gruppe auf die Blockchain-Technologie, um die Rückverfolgbarkeit von Textilien über alle Produktions- und Vertriebsstufen bis zurück zu den Fasern sicherzustellen. Der Faserspezialist vertraut dabei auf das Hongkonger Blockchain-Start-up TextileGenesis und deren Fibercoin-Technologie. Fibercoins stellen digitale Token für Fasern dar, die wie ein Fingerabdruck funktionieren und Fälschungen vorbeugen.

Die Blockchain ermöglicht es den Akteuren der Lieferkette, die digitalen Münzen parallel zur Produktion von Textilprodukten zu übertragen, während diese die Lieferkette durchlaufen.

Nach mehreren Pilotprojekten hat Lenzing im Vorjahr die digitale Plattform eingeführt, die stufenweise globale Dimensionen bekommt. Nach dem Plattform-Onboarding von Geschäftspartnern aus Indien, Bangladesch, Pakistan, Sri Lanka, China und der Türkei will Lenzing bis Mitte 2021 die „meisten infrage kommenden Lenzing-Supply-Chain-Partner“ angebunden haben. Ein wesentlicher Systembestandteil ist die Einbindung des von Lenzing betriebenen E-Branding-Systems für die Zertifizierung von Stoffen. Diese ermöglicht Bekleidungsmarken und Einzelhändlern nicht nur die vollständige Rückverfolgbarkeit der Lieferkette für die Lenzing-Fasern, sondern gibt auch Einblick in die digitalen Stoffzertifikate.

Amit Gautam, Gründer von TextileGenesis, zeigt sich bezüglich einer transparenten Zukunft der Lieferkette zuversichtlich: „Angesichts zunehmender Compliance- und Reputationsrisken haben sich die CEOs und Vorstände der Top-100-Modemarken verpflichtet, in den nächsten fünf Jahren 100 Prozent nachhaltige und rückverfolgbare Fasern zu verwenden.“ Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit seien laut Gautam „zwei Seiten derselben Medaille“.

AUF EINEN BLICK

Mit digitalen Identitäten von Produktchargen in der Blockchain soll die komplette Wertschöpfungskette digital und manipulationssicher abgebildet werden. Blockchain-Plattformen bieten die Möglichkeit, den Zertifizierungsstatus aller beteiligten Lieferanten und ihrer Produktionsstätten über alle Stufen der Lieferkette zu verfolgen und darzustellen. Die an der Wertschöpfung beteiligten Akteure kooperieren unternehmensübergreifend, schaffen gemeinsame Standards und erhöhen so die Effizienz im Supply-Chain-Management. Gleichzeitig bleiben die Datenhoheit der beteiligten Akteure sowie die Datensicherheit gewahrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2021)

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