Damals schrieb

Ein Richterspruch

Wien, 20. April 1871.

Als das Ministerium Hohenwart sein Amt antrat, war eines seiner ersten Geschäfte, den Staatsanwaltschaften eine scharfe Handhabung der Preßgesetze anzuempfehlen und darüber zu wachen, daß keine bösen Consequenzen für den Staat aus der Thätigkeit des Ministeriums abgeleitet werden. Dieser Erlaß war nicht dem Wortlaute, aber dem Sinne nach gegen die der deutschen Verfassungspartei sympathischen Organe gerichtet. Die Staatsanwaltschaften wurden ganz irre an ihren Aufgaben und Pflichten. Jetzt waren die Verfassungsfreunde die Schelme, welche Kaiser und Reich verrathen wollen; die Vorkämpfer des Gesetzes sollten von der Schneide des Gesetzes getroffen werden. Man kann der Staatsanwaltschaft, welche ein Vollzugsorgan des Justizministeriums ist, unmöglich eine selbstständige Stellung zuerkennen, und wenn sie auch nicht so engbegrenzt in ihrem Ermessen ist, daß sie in einem einzelnen Falle ihre Ueberzeugung verleugnen müßte, so kann sie doch nach ihrer Stellung im Staatsorganismus der ihr angewiesenen Richtung nicht widerstreiten. Die Staatsanwaltschaft griff also zu, und die Nummer unseres Blattes vom 5. März fiel ihr zum Opfer.

Der Artikel, von dem die Staatsanwaltschaft die gute Meinung hegte, daß er werth sei, wie Hector zu fallen, war der Aufforderung an die Abgeordneten gewidmet, dem Ministerium Hohenwart das geforderte Recruten-Contingent nicht zu bewilligen, da man einem mit Recht Mißtrauen erweckenden Ministerium die Verfügung mit dem Contingente nicht überantworten könne, vielmehr das Ministerium entweder durch die Recruten-Verweigerung beseitigen oder nöthigenfalls die Auflösung des Abgeordnetenhauses mit moralischem Muthe provociren müsse.

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