Literatur

Schottische Eröffnung

Voll Abschied und Erwachen: „Frühling“, der fantastische Teil III der Tetralogie von Ali Smith.

Katherine Mansfield und Rainer Maria Rilke weilten 1922 in der Schweizer Stadt Siders. Der österreichische Dichter vollendete dort die „Duineser Elegien“ und schrieb die „Sonette an Orpheus“, die neuseeländisch-britische Schriftstellerin starb im Jahr darauf an Tuberkulose. Aber sind sich die beiden begegnet, im Hotel? Dieses Gedankenspiel taucht wiederholt in dem Roman „Spring“ (2019) der Schottin Ali Smith (geboren 1962) auf, einfühlsam übersetzt von Silvia Morawetz.

Der dritte Band dieser nach den Jahreszeiten benannten, lose verknüpften Tetralogie ist ein Meisterwerk. Smith hat den genauen Blick, der an die Short Storys von Mansfield erinnert, sie trifft im richtigen Moment den elegischen Ton Rilkes, dann wieder den Sound eigener Zeit. Brexit! Migration! Neue Medien! Schlicht scheint ihr Stil zuweilen, aber der Text ist äußerst wandlungsfähig, voller Anspielungen auf Weltliteratur. Jeder der drei Teile des Romans wird mit Parodien kollektiver Erregungen des Zeitgeists eingeleitet – angriffslustige Troll-Sprache, prollige Obszönitäten. Dem folgen jeweils Episoden aus der Perspektive der Protagonisten auf Sinnsuche, die atmosphärisch stimmig sind. Wovon handelt das Buch? Zitate von Rilke, Shakespeare et cetera geben eingangs die Grundierung: von Fremdsein und Tod, aber auch von Anfang und Kindsein ist die Rede. Mansfield schrieb: „Ich halte schon Ausschau nach Frühlingsboten.“

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