Während in der Union seit Tagen ein Machtkampf herrscht, haben sich die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck intern geeinigt. Baerbock geht als Kanzlerkandidatin ins Rennen für die Grünen - ohne je Regierungserfahrung gesammelt zu haben.
„Wir sind der ruhende Pol in einer aufgewühlten politischen Landschaft“, sagt Robert Habeck über seine Partei, die Grünen, die in Deutschland erstmals einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Das Anführen einer Regierung ist nach der kommenden Bundestagswahl im Herbst nicht außer Reichweite, „am Ende kann es nur eine machen“. Und das wird Annalena Baerbock sein, verkündete Habeck am Montagvormittag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. „Sie wird uns in diesem Wahlkampf anführen“. Und er übergab das Wort an seine Co-Parteichefin.
"Es wird nicht immer leicht sein", sagt Baerbock. Der Wahlkampf werde die Partei gehörig fordern. Die Partei werde sich aber untereinander helfen, die größte Kraft entstehe immer aus gemeinsamem Handeln. Baerbock warb in ihrer Rede um Zusammenhalt, sie erklärte, ein Angebot für alle Deutschen darstellen zu wollen. Sie wolle klimagerechten Wohlstand schaffen. Es brauche „jetzt Mut, Dinge wirklich anders zu machen“. Was alles nicht gehe, das habe man in den letzten Jahren genug gehört. Die 40-Jährige sei noch nie Kanzlerin oder Ministerin gewesen, stehe aber für einen Neuanfang. Dass Baerbock noch kein exekutives Amt in einer Regierung innehatte, galt als größter Kritikpunkt. „Zukunft gestalten“, das sei ihr und „unser“ Angebot, schloss Baerbock mit Blick auf Habeck, der weiterhin mit ihr die Partei leiten wird.
Während die CDU/CSU seit Tagen die Schlagzeilen bestimmt - wer jetzt Kanzlerkandidat werden soll, Laschet oder Söder - lösten die Grünen diese Frage ohne öffentlichen Streit - obwohl auch dort zwei Personen ihr Interesse offen bekundeten. Die beiden Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck waren aber in der Lage, die Frage intern zu klären. Habeck hatte in mehreren Interviews betont, er werde Baerbock nicht im Wege stehen, sollte sie als Kanzlerkandidatin antreten wollen.
Parteitag im Juni
Die offizielle Entscheidung über die Kanzlerkandidatur fällt auf dem Grünen-Parteitag vom 11. bis 13. Juni. Es wäre das erste Mal in der mehr als 40-jährigen Geschichte der Öko-Partei, dass die Grünen eine eigene Kanzlerkandidatin aufstellen. Sie waren vor noch keiner Bundestagswahl so stark wie jetzt. In Umfragen rangieren sie deutlich über 20 Prozent auf Platz zwei der Wählergunst hinter den Christdemokraten der scheidenden deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Baerbock wuchs in der Nähe von Hannover auf dem Dorf auf und studierte Politikwissenschaften und Völkerrecht in Deutschland und London. Bei den Grünen hat die Mutter von zwei Töchtern schnell Karriere gemacht: 2009 Vorstand der europäischen Grünen und Landesvorsitzende in Brandenburg; 2013 Einzug in den Bundestag; 2018 Bundesvorsitzende der Grünen gemeinsam mit Habeck.
Bisher haben in der Regel nur CDU/CSU und SPD Kanzlerkandidaten nominiert, mit einer Ausnahme: 2002 stellte die FDP Guido Westerwelle auf, wurde dann aber mit 7,4 Prozent nur viertstärkste Kraft im Bundestag hinter SPD, CDU/CSU und Grünen. Der Begriff „Kanzlerkandidat“ ist ein theoretisches Konstrukt, das für Spitzenkandidaten jener Parteien verwendet wird, die möglicherweise die Chance bekommen könnten, eine Regierung anzuführen. Denn wie in Österreich wird auch in Deutschland der Kanzler nicht direkt gewählt.
Bundesgeschäftsführer Kellner hat als Wahlziel ausgegeben, dass die Grünen das Kanzleramt erobern. "Wir wollen das Land in die Zukunft führen. Darum kämpfen wir für das historisch beste grüne Ergebnis aller Zeiten und die Führung der nächsten Bundesregierung." Ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielten die Grünen 2009 mit 10,7 Prozent. Bei der Wahl 2017 kamen sie nur auf 8,9 Prozent. In Umfragen liegen die Grünen bei 20 bis 23 Prozent und damit nur wenige Prozentpunkte hinter der Union und deutlich vor der SPD.
Die Sozialdemokraten wollen mit Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten in den Bundestagswahlkampf ziehen. Die Entscheidung der CDU/CSU steht - auch am Montag- immer noch aus. Baerbock wird jedenfalls im Trio der Kanzlerkandidaten als einzige Frau ins Rennen gehen.
(klepa/Ag.)