Die Gebärende als Patientin
Gegenentwurf

Der Kreißsaal, ein vergessener Raum

Nach ihrer eigenen Geburtserfahrung hat die junge Architektin Josephine Herrmann erkannt, dass es keine Grundlagen für die Bauordnung von Geburtsräumen gibt. Ihr eigener Entwurf passt sich den Bedürfnissen einer gebärenden Frau an. Und ja, das ist revolutionär.

Im Krankenhauskittel mit Venenkatheter und Netzhöschen mit dicker Einlage überschaubar lange, fensterlose Spitalswege abgehen, während die Wehen kommen und gehen, ist ein normales Geburtserlebnis in unseren Breiten. Die Gebärende ist Patientin. Kommt sie nicht in einem Geburtshaus nieder, passen sich die Räume, in denen sie ihr Kind erwartet, dem System Krankenhaus an. Eine junge Architektin hat diese gewohnte Ordnung nun in ihrer Diplomarbeit „Das Licht der Welt – Die Typologie der Geburtshilfe in Wien" hinterfragt.

Dass der falsche Raum und die falsche Architektur, die Macht haben, den Geburtsvorgang zu hemmen, hat Josephine Herrmann selbst erlebt. Bei der Geburt ihres ersten Kindes in einem Wiener Spital ist sie viele Stunden am Boden einer Gemeinschaftsdusche gesessen, ihr Freund musste neben ihr ausharren. Eine werdende Mutter in ihrer Nähe hatte Durchfall. Herrmann selbst hatte keinen Zugang zu Geburtshilfe oder einer Gebärbadewanne, beschreibt sie in einem Podcast. „Ich bin acht Stunden allein auf einem grindigen Boden gesessen. Das war würdelos, meine Privatsphäre war nicht geschützt" - und das in einer Phase, in der sich eine Frau mental und körperlich öffnen soll.

Herrmann wählte die organische Kreisform für ihren Entwurf
Herrmann wählte die organische Kreisform für ihren EntwurfJosephine Herrmann

Ein unerforschtes Gebiet

Nach dieser Geburtserfahrung hat Josephine Herrmann erkannt, dass es in der Architektur keine Grundlagenforschung zu Geburtsräumen gibt. Es fehle aber an Räumen, in denen Frauen vor allem die Geburtsphase vor, aber auch während und nach der Austreibungsphase verbringen können. “Da erblicken Kinder das erste Mal das Licht der Welt. Das ist ein wichtiger Moment. Wieso haben sich Architekten noch nie dieser Bauordnung angenommen?”. Sie hat es nun in ihrer mit dem „Architecture for Health Students Award" ausgezeichneten Diplomarbeit getan.

Mit dem Fachwissen praktizierender Hebammen, Gynäkologen und Neonatologen stellte sie Entwurfskriterien auf, um eine eigenständige Typologie der Geburtshilfe aufzuzeigen, die bisher offenbar keine spezifischen architektonischen Richtlinien entwickeln konnte. Ein praktischer Teil ihrer Arbeit zeigt die Umsetzung der erarbeiteten Kriterien.

“Wenn man einen Geburtsraum entwerfen will, muss man bei den Bedürfnissen der Frau anfangen. Das klingt jetzt so naheliegend, ist aber revolutionär in unserem System, weil die Geburtsräume auf den medizinischen Kontext fokussiert sind”, sagt Herrmann. In der theoretischen Analyse des Themas Geburt und Architektur ist ihr aufgefallen, wie normal es ist, als Gebärende in ein Krankenhaus zu gehen. Im europäischen Raum würden 99 Prozent aller Geburten ebenda stattfinden - ohne dass jemand krank ist. Das Geburtserlebnis ist für jede Mutter sicher einiges: heilig, einschneidend, schockierend. Was es sicher nie ist, ein gewöhnlicher medizinischer Eingriff. 

Der Geburtsraum
Der GeburtsraumJosephine Herrmann

Raus an die Luft

Und ist eine Frau erst einmal im Krankenhaus zur Geburt angemeldet, ist es ihr rechtlich nicht mehr erlaubt, dieses wieder zu verlassen, um ihre Wehenrunden zum Beispiel im Freien zu machen, kritisiert Josephine Herrmann und fordert in ihrem Entwurf einen Zugang zur Natur. Außerdem hat sie ein rundes Gebärbett entworfen, in dem eine Frau Bewegungsfreiheit hat, um ihre Positionen intuitiv zu ändern. “Wie soll eine Frau während einer Wehe denn ein herkömmliches Krankenhausbett bedienen können”, fragt sie. Zu 75 Prozent entbinden Frauen deshalb auch in Rückenlage, „die schlechteste Position, die man während der Geburt einnehmen kann”, lediglich eine gute Position für medizinische Interventionen.

Gebärbett
GebärbettJosephine Herrmann

Mehr Atmosphäre

In ihrem kreisförmigen Holz- und Steinentwurf, der bereits mit einem konkreten Ortsvorschlag, nämlich dem Kurpark Oberlaa versehen ist, teilt Josephine Herrmann die Bereiche der Geburtsräume, OPs und Neonatologie auf vier Etagen auf, “was es mir auch erlaubt, in den Geburtsräumen beispielsweise auf natürliche Materialien wie Holz zu setzen. Ein Geburtsraum muss nicht komplett steril durchdekliniert sein”. Ringförmig baut sich ihr Geburtshaus auf. 75 Prozent der Baufläche fallen auf einen begrünten Innenhof. Nähert man sich dem Bau, muss man zuerst optisch einen kleinen Graben überwinden, eine Barriere zur Außenwelt. Im sogenannten Elternrefugium soll die Gebärende und der Vater die erste Phase der Geburt verbringen, es befindet sich im Untergeschoß auf Niveau des Innenhofs, durch den Graben bekommt es Sonnenlicht.

Im Erdgeschoss soll die Ambulanz mit den Zufahrtswegen angesiedelt werden. Im ersten Obergeschoß befindet sich im Entwurf die Neonatologie, ein Stock darüber liegt die Geburtshilfe. Interessant an ihrem Entwurf ist die Anordnung der Wege und Behandlungsräume. Während sich die Zimmer der Neonatologie nach außen orientieren, um den Eltern das Gefühl der Isolation zu nehmen, richten sich die Kreißsäle zum Innenhof hin, um das Gefühl der Privatheit der Frauen zu fördern. Die Spaziermöglichkeiten in den Geburtsräumen gehen durch die Kreisform des Gebäudes ins Endlose - keine zehn Meter von der einen zur anderen Seite des Flurs.

Der Geburtsraum
Der GeburtsraumJosephine Herrmann

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