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Faktencheck: Auf Covid-Intensivstationen vorrangig Österreicher

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TOPSHOT-FRANCE-HEALTH-VIRUSAPA/AFP/THOMAS SAMSON
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Nur 11,7 Prozent der Intensivpatienten haben nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Migranten sind jedoch stärker von Covid-19 betroffen, aufgrund ihres oft niedrigeren sozioökonomischen Status sowie Sprachbarrieren.

In sozialen Medien entbrannte in den vergangenen Tagen eine Diskussion darüber, wie hoch der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist, die mit Corona auf Intensivstationen liegen. Der niederösterreichische FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl bemängelte zuletzt etwa in einem Facebook-Posting, dass mehr als 50 Prozent der Covid-19-Intensivbetten aktuell mit Migranten belegt seien - vor allem in Großstädten. Das würden Gesundheitsexperten und Ärzte "hinter vorgehaltener Hand" sagen. Und obwohl Migranten sich "an keinerlei Sicherheitsmaßnahmen halten", würden sie im nationalen Impfplan bevorzugt werden.

Doch ist an den Behauptungen etwas dran?

Tatsächlich hatten nur 11,7 Prozent der Menschen, die bis Ende Februar 2021 wegen Corona intensivpflichtig wurden, nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Eine geografische Auswertung wird aufgrund von hohen Schwankungsbreiten nicht durchgeführt. Prinzipiell sind Migranten stärker von Covid-19 betroffen. Das liegt unter anderem an beengten Wohnverhältnissen und Sprachbarrieren. Im aktuellen Impfplan werden sie nicht bevorzugt.

Bedenken muss man, dass die Begriffe „Migranten" und „Menschen mit Migrationshintergrund" oftmals nicht eindeutig verwendet werden. Menschen mit Migrationshintergrund werden laut Statistik Austria dadurch definiert, dass beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Das Innenministerium definiert Migranten als Menschen, die von einem Land zu einem anderen wandern, um dort zu leben und zu arbeiten. Menschen mit Migrationshintergrund können aber auch die österreichische Staatsbürgerschaft haben, wie aus einem Bericht u.a. der Statistik Austria hervorgeht.

88,3 Prozent sind Österreicher

Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) erhebt in Österreich die Staatsangehörigkeit von Covid-19-Intensivpatienten. Wie ein Pressesprecher der GÖG mitteilte, wurden von 1. Jänner 2020 bis 28. Februar 2021 insgesamt 5.790 Menschen aufgrund von Covid-19 intensivpflichtig. Davon seien 88,3 Prozent österreichische Staatsbürger gewesen. 8,5 Prozent stammten aus Drittstaaten und 3,2 Prozent aus weiteren EU-Staaten. Zusammengerechnet 11,7 Prozent der Menschen, die bis Ende Februar intensivpflichtig wurden, hatten also nicht die österreichische Staatsbürgerschaft.

Die Daten würden zwar in der Aktualität etwa zwei Monate hinterherhinken, seien dafür aber sehr exakt, so der Sprecher. Dass der Anteil der Migranten sich innerhalb des darauffolgenden Monats gravierend verändert hat, ist nicht anzunehmen.

Relativ gesehen sind den GÖG-Daten zufolge Ausländer sogar weniger häufig wegen Corona auf Intensivstationen als österreichische Staatsbürger. Denn Ausländer stellten 11,7 Prozent der Menschen in Intensivpflege, jedoch 17,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Migranten sind per Definition nicht gleich Ausländer, aber die Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund hat nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Es gibt also keine Hinweise darauf, dass mehr als 50 Prozent der Covid-19-Intensivbetten mit Migranten belegt sind.

Die Top-5-Länder, aus denen Intensivpatienten mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft kommen, sind die Türkei, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Deutschland und Rumänien. Das sind auch die größten Migrantengruppen in Österreich. Die Zahlen in dem AGES-Lagebericht sind allerdings mit Vorsicht zu vergleichen, da die Nationalität bei einem großen Teil als unbekannt angeführt ist: Gemessen am Bevölkerungsanteil der jeweiligen Nationalitäten in Österreich zeigt sich, dass mehr Türken (0,11 Prozent), Serben (0,09 Prozent) und Bosnier (0,08 Prozent) als Österreicher (0,07) wegen Covid-19 auf die Intensivstation mussten, aber weniger Rumänen (0,03 Prozent) und Deutsche (0,02 Prozent).

Migranten stark von Covid-19 betroffen

Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien stellte mit Hinweis auf eine OECD-Studie fest, dass Migranten überdurchschnittlich stark von Covid-19 betroffen seien. In Ländern, für die entsprechende Daten vorliegen, hätten sie ein etwa doppelt so hohes Infektionsrisiko. Dafür gebe es mehrere Gründe wie beengte Wohnverhältnisse, Armut, weniger Möglichkeit zur Telearbeit, Sprachbarrieren oder mehr Vorerkrankungen: "All das macht sie exponierter vor dem Virus", sagt Kohlenberger.

Darauf wiesen auch Gesundheit Österreich und das Gesundheitsministerium hin. Laut dem GÖG-Sprecher hängen sowohl der Migrationshintergrund als auch der Sozioökonomische Status statistisch gesehen positiv zusammen. "Der Sozioökonomische Status wiederum beeinflusst die verfügbare Wohnfläche je Haushaltsmitglied, die wiederum einen Einfluss auf die Ansteckungswahrscheinlichkeit hat".

Sprachbarriere

Auch eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums betonte, dass unabhängig von ihrer Herkunft Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen besonders gefährdet seien. Um dem entgegenzusteuern müssten Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz und die Armutsbekämpfung verstärkt werden. Zentral sei auch, dass Menschen mit verständlichen Informationen erreicht werden: "Wir werden (...) die Information fremdsprachiger Communitys weiter ausbauen". Schon bisher würde der Österreichische Integrationsfonds Informationen in 17 Sprachen anbieten.

Kohlenberger zufolge muss in der Kommunikation über Covid-19 nach Alter, Bildung usw. diversifiziert werden. Migranten seien nämlich wie Österreicher keine homogene Gruppe. Ältere Migranten seien etwa besonders schwer zu erreichen. Mehrsprachige Nachrichtensendungen im Fernsehen oder Radio könnten hier Abhilfe schaffen, wohingegen Kommunikation auf Social Media wenig bringe.

Kritisch sah sie, dass Covid-19-Informationsseiten für Deutschsprachige teilweise auf anderen Seiten zu finden seien als jene in Migrantensprachen. Beispielsweise die Seite "Österreich impft" existiere nur auf Deutsch. Auch dass übersetzte Informationen gleichzeitig stark gekürzte Versionen seien, kritisierte sie. Keine Evidenz gebe es dafür, dass Migranten sich weniger an Covid-19-Maßnahmen hielten, wie von Waldhäusl behauptet.

Priorisierung von Gemeinschaftsunterkünften

Aus dem aktuell geltenden Covid-19 Impfplan geht nicht hervor, dass Migranten bevorzugt werden. In Phase 3, wenn mit der breiten Impfung der Bevölkerung begonnen wird, ist von "Bewohnerinnen und Bewohner in engen/prekären Wohnverhältnissen (Gemeinschaftsunterkünfte etc.)" die Rede. Allerdings könne diese "Priorisierung aufgrund der Lebens- und Arbeitsverhältnisse" nur unter der Voraussetzung von ausreichend verfügbaren Impfstoffen erfolgen.

(APA)

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