Coronakrise.

Psyche leidet unter Pandemie: Ein Drittel fühlt sich stark belastet

Auch diese Befragung zeigt: Besonders belastet sind Jüngere.
Auch diese Befragung zeigt: Besonders belastet sind Jüngere. imago images/Cavan Images
  • Drucken

Die Belastungen haben im Lauf der Krise deutlich zugenommen, auch enttäuschte Hoffnung schwächt das Durchhaltevermögen. Aber es gibt Grund für echte Hoffnung.

Der große Einschnitt, der erste Lockdown, ist mittlerweile mehr als 13 Monate her, aber die psychischen Belastungen sind in der Zeit der Lockdowns deutlich stärker geworden. Dass die so genannte psychosoziale Pandemie zeitverzögert zur Virus-Pandemie auftreten wird, wurde von Anfang an erwartet. Nun haben Forscher der Sigmund Freud Universität (SFU) die Belastungen der Österreicherinnen und Österreicher in einer repräsentativen Umfrage erfasst.

Demnach fühlt sich mittlerweile ein Drittel der Befragten psychisch stark belastet. Rund die Hälfte zeige zudem Anzeichen von Überlastung, etwa in Form von gesteigerter Gereiztheit, so Psychiater Michael Musalek, der Vorstand des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der SFU. Für die Studie wurden zwei Befragungen durchgeführt, im Mai 2020 und im März 2021.

Zwischen der ersten und zweiten Runde hat sich der Anteil der stärker Belasteten von rund einem Viertel auf ein Drittel erhöht, sagte Oliver Scheibenbogen von der SFU. Die wirtschaftlichen Belastungen seien zwar in etwa gleich geblieben, zugenommen haben jedoch auch körperliche Belastungen (von 14 auf 22 Prozent). Knapp die Hälfte gab an, noch immer von wichtigen Bezugspersonen getrennt zu sein.

Man verzeichne besonders bei jungen Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren eine massive Zunahme der psychischen Belastung. Sehr deutlich ist auch der Anstieg der Frauen, vor allem bei jenen mit Mehrfachbelastungen.

Pandemie breitet sich aus

Die psychosozialen Folgen der Pandemie würden sich rasch ausbreiten, so Musalek. „Das liegt auch daran, dass der Mensch Akutbelastungen relativ gut wegstecken kann, Langzeitbelastungen aber weniger.“ Österreich sei in einer „prekären Situation“: Die epidemiologische Lage, auch auf den Intensivstationen zeigt, dass Maßnahmen weiter notwendig seien. „Aber es muss uns klar sein, dass wir damit psychosoziale Belastungen schaffen, denen man entgegenwirken muss“.

In der zweiten Runde habe man gesehen, dass sich eine zunehmende Überlastung der Menschen zeige, die sich mitunter in Antriebsverlust, Erschöpfungszuständen und dem Verlust von Freude äußert.

Am meisten leiden Menschen unter den Restriktionen, fehlender Tagesstruktur beispielsweise im Home Office oder der Furcht um den Arbeitsplatz, so Psychologe Oliver Scheibenbogen. Insgesamt erleben viele einen Verlust der Selbstbestimmung und der Autonomie, dies wäre allerdings wichtig, um mit der Situation gut umzugehen.

Problem mit Suchtmitteln wächst

Frappant seien „deutliche Zunahmen“ was die Reizbarkeit betrifft, wenn etwa schon kleine Reize betont missgestimmte Reaktion hervorrufen oder es dafür gar keinen Anlass mehr braucht. Musalek zeigt hier einen direkten Zusammenhang zwischen Überforderung und Reizbarkeit auf. „Hohe Gereiztheit und Überforderung, das verhält sich wie Dickleibigkeit und zu viel Essen. Es gibt Ausnahmen, aber in den allermeisten Fällen doch einen deutlichen kausalen Zusammenhang“, so der Psychiater. Und damit führe Überforderung auch zu Aggression.

Erschöpfungszustände und Energielosigkeit durch die Abnutzungen, die die Krise mit sich bringen, würden auch bedingen, dass viele Menschen die Maßnahmen nicht mehr mittragen können, so der Wissenschafter. Der – selbst langjähriger ärztlicher Direktor des Anton Proksch Instituts, in dem Suchtkrankheiten behandelt werden – auch von einer bedenklich hohen Zahl an Menschen spricht, die in dieser Krise als Reflex zu mehr Suchtmitteln, vor allem Alkohol und Nikotin greifen.

Dieses Problem sei zwar zwischen erster und zweiter Befragung nicht größer geworden. „Aber da haben wir auch einen Decken-Effekt auf sehr hohem Niveau. Noch höher geht es kaum“, sagt der Sucht-Experte.

„So verlieren wir die Menschen“

Was empfehlen Psychiater Musalek und Psychologe Scheibenbogen also, um besser durch die verbleibende Zeit der Pandemie zu kommen? Es brauche Modelle, die einen sinnvollen Umgang mit der Pandemie vorleben, so Scheibenbogen. Alles, was die Selbstwirksamkeit der Menschen stärkt, ihr Gefühl, an der Lösung der Situation mitarbeiten zu können, sei hilfreich. Das Impfen und Testen seien hier gute Beispiele.

Die beiden plädierten dafür, „Hoffnung zu induzieren“, aber ohne dabei immer wieder konkrete Erwartungen, etwa mit konkreten Öffnungsschritten an gewissen Daten zu wecken, die sich dann womöglich nicht erfüllen.

„So verlieren wir die Menschen“, so Musalek. Er sieht aber Gründe zur Hoffnung auf deutliche Entspannung im Sommer. Allerdings solle man sich davor hüten, eine Stimmung aufkommen zu lassen, dass etwa im Herbst keine Restriktionen mehr notwendig sein würden.

In Summe aber solle man den gemeinsamen Kampf gegen das Virus im Auge behalten „und nicht unsere Mitmenschen als Gegner ansehen“, sagt Musalek, der darauf plädiert, angesichts all der Gereiztheit besonders warmherzig und liebevoll miteinander umzugehen.

(Die Presse)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.