Die vielleicht erschütterndste Geschichte der antiken Mythen kann auch heute noch produktiv irritieren.
„Ligne claire“, klare Linie, nannte man den Zeichenstil des belgischen „Tintin“-Schöpfers Hergés. Der 1946 geborene französische Kinder- und Jugendbuchautor Yvan Pommaux steht in dieser Tradition. Die auf Weniges, Ausdrucksstarkes reduzierten Bilder ebenso wie die sparsame, zugleich lebendige Sprache passen in der nun auf Deutsch erschienenen Graphic Novel „Ödipus“ zur archaischen Wucht dieses Mythos. Sie strahlen Klarheit, Ruhe und Stille aus, dann wieder Bedrohlichkeit, die Last des Himmels, Verhängnis.
Auch die Sprache ist sparsam und lebendig zugleich. Als Ödipus unwissentlich seinen Vater ermordet hat und seine Mutter heiratet, „erleben die Götter die Hochzeit mit und trinken Nektar, ihr Lieblingsgetränk“. Der Mensch, nur Opfer sadistischer Götterspielchen? So scheint es hier lang. Am Ende aber macht der Seher Teiresias klar: Ödipus hat mit seinem Jähzorn, der ihn zum Mord trieb, auch eigene Schuld auf sich geladen. Eins ist klar: Diese vielleicht erschütterndste Geschichte der antiken Mythen, kann auch heute noch produktiv irritieren – wenn sie eine starke neue Form bekommt, wie hier.
Yvan Pommaux: Ödipus. Das Findelkind. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. 48 S., geb., € 18,50 Alter: Ab 8 Jahren. (Moritz)