Mein Freitag

Biegt ein Hybrid-Auto lautlos um die Ecke

Wildkräuter statt dem Skelett im Topf.
Wildkräuter statt dem Skelett im Topf. Die Presse/Clemens Fabry
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Es gibt kaum ein Lied, das einem so unheimlich ist wie „Higher Love“ von Whitney Houston. Es wurde erst Jahre nach ihrem Tod erstmals veröffentlicht (2019).

Man hat noch das Original im Kopf, es war 1986, Steve Winwood war jung, und die wichtigen Momente passten in drei Minuten. Dire Straits und Queen durften diese Marke überschreiten, aber auch nur, damit die Burschen länger Luftgitarre üben konnten.

Nun hallen die 80er-Jahre wieder, so untot wie Whitney Houston, und man muss der Jugend schonend beibringen, dass dies alles gar nicht neu ist. Das kostet sie nicht einmal ein Schulterzucken. Alles ist hybrid. Vieles kann gleichzeitig nebeneinander bestehen, einander ergänzen, auch wenn es nicht zusammenpasst. Gegensätze widersprechen sich nicht mehr.

So steht völlig logisch „Distanz, die uns verbindet“ auf der Corona-Sondermarke der österreichischen Post, die aus (dreilagigem) Toilettenpapier hergestellt wurde und nicht nur ein sehenswertes Erinnerungsstück ist, sondern auch einen Zuschlag für karitative Zwecke enthält. „In weiter Ferne, so nah!“ hat das früher geheißen. Der Film von Wim Wenders aus dem Jahr 1993 ist auch ein Zurückspulen der Zeit wert. Zeitlos alt.

Auch im Alltag ist gleichzeitig die angesagte Zeitform. Da kann der Engländer mit seinen „continuous -ing“-Formen einpacken, einer Gegenwart, für die wir Deutschsprachigen keinen Begriff haben. Wir können dafür gleichzeitig Präsenzunterricht haben, ohne präsent zu sein, und mehr Anwesenheit im Distant Learning zeigen. Gleichzeitig wach sein und schlafen ist auch gar kein Problem mehr.

Während man die frischen Basilikumblätter genießt, bereut man, dass die Perfektion des neuen Basilikumtopfes schon mit dem ersten Abzupfen dahin ist und bald ein abgerupftes Blattskelett vor einem stehen wird, das sich nicht mehr erholt. Recht sinnlose Gedanken, während mich ein Hybrid-Auto lautlos umfährt, da ist man dann gleichzeitig tot und lebendig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2021)

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