B.1.1.7+E484K

"Fluchtmutation" macht Tirol nervös

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Nirgends auf der Welt gibt es so viele Fälle der B.1.1.7+E484K-Mutation wie in Tirol. Die ansteckendere Variante, gegen die  Impfungen nur eingeschränkt wirken dürften, könnte die Ursache für die stark steigenden Zahlen in dem Bundesland sein.

Während die Bundesregierung baldige Öffnungen plant, sind die Zeichen in Tirol schon einmal besser gestanden. Seit einiger Zeit steigen die Zahlen wieder, mittlerweile liegt das Bundesland mit einer Inzidenz von knapp 213 zusammen mit Wien auf Platz eins der unrühmlichen Hitliste. Österreichweit liegt die Inzidenz bei 174,4. Am Donnerstag haben die Tiroler Behörden die Ausreisetestpflicht für das gesamte Bundesland wieder verlängert - vorerst bis inklusive 5. Mai.

Denn bereits seit mehreren Wochen zeigt sich in Tirol eine beunruhigende Entwicklung: Es treten verstärkt Infektionen mit einer ungewöhnlichen Virusvariante auf, der B.1.1.7+E484K-Mutation. Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Fluchtmutation“ der britischen Variante B 1.1.7., bringt also zusätzlich zu den Veränderungen der britischen Variante noch weitere, potenziell gefährliche Eigenschaften mit sich. Diese E484K-Mutation ist bereits von der südafrikanischen Virusvariante (B1.351) und der brasilianischen Variante (P.1) bekannt. 

Infektiöser und Antikörper-resistent

„Das Virus hat an der Oberfläche eine Veränderung durchgemacht, die es den Antikörpern nicht mehr so leicht macht, es zu bekämpfen", erklärt der Virologe Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am Freitag im Ö1-Morgenjournal. Diese modifizierte Variante in Tirol ist also einerseits infektiöser, wie von der britischen Variante bereits bekannt, Impfungen oder bereits gebildete Antikörper durch eine Infektion könnten aber gleichzeitig auch nicht so gut vor einer Ansteckung mit der Variante schützen.

Ganz gesichert ist letzteres aber noch nicht, sagt Bergthaler, denn die Datenlage sei noch dürftig und beziehe sich auf Ergebnisse in Labors. Jüngste Studien würden suggerieren, dass die Antikörper um das sechs bis zehnfache weniger effektiv seien. „Was das genau in der Wirklichkeit heißt, ist schwierig umzulegen.“ Es sei aber „gut möglich", dass Personen mit einer niedrigen Menge an Antikörpern Gefahr laufen, sich noch einmal zu infizieren.

Ein kleiner Lichtblick: Dass die Mutation zu schwereren Erkrankungen führt, wie es ein Bericht der AGES kürzlich suggerierte, dafür gebe es Bergthaler zufolge bisher noch keine Daten. Auf Tirols Intensivstationen mussten am Freitag zwei Corona-Patienten mit dieser speziellen Mutation behandelt werden, 24 dagegen mit der herkömmlichen Mutation, teilte das Land am Freitag mit.

Zusammenhang mit Impfkampagne?

In Tirol gab es mittlerweile rund 1800 Fälle der Variante B.1.1.7+E484K,  von denen rund 800 aktiv sind. Die Variante tritt im ganzen Bundesland auf. Die Variation ist schon Ende Jänner in Großbritannien und auch im US-Bundesstaat Oregon aufgetreten, verschwand dort aber wieder rasch. Insgesamt gab es in anderen Teilen der Welt 281 Fälle. Warum es gerade in Tirol so viele Fälle gibt, stellt die Experten derzeit vor ein weiteres Fragezeichen.

Möglicherweise könnte es einen Zusammenhang mit der intensiven Impfkampagne in Schwaz geben, die zu derselben Zeit durchgeführt wurde, als die Mutation erstmals auftrat. Es spreche jedenfalls einiges dafür, dass die Variante tatsächlich in Österreich entstanden ist - also nicht von außen eingetragen wurde, so Bergthaler. Das passiere natürlich auch in anderen Regionen der Welt, wo das Virus relativ verbreitet und der Druck auf den Erreger, sich zu verändern (Selektionsdruck), mitunter hoch ist. Inwiefern die "Anomalie" mit derart gehäuften Fällen in Tirol aber alleine dasteht, könne man noch nicht sagen, so Bergthaler.

Außerhalb Tirols habe man in Österreich hingegen erst sechs Nachweise von B.1.1.7+E484K, für das es noch keine praktikablere andere wissenschaftliche Bezeichnung gibt.

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Warum immer wieder Tirol?

Warum gerade Tirol immer wieder mit Mutationen zu kämpfen habe, darüber kann nur spekuliert werden. Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der ÖAW zufolge sei das einerseits "Pech“, hänge andererseits vermutlich auch mit der geografischen Lage, der hohen regionalen Mobilität und der vermutlich schon recht hohen Durchseuchungsrate, die neue Varianten begünstigt, zusammen. Aber  offenbar spiele auch eine gewissen politische Sorglosigkeit mit hinein, vermutete Elling am Donnerstag: "Wir brauchen einen Automatismus, um gleich, wenn so etwas passiert, Konsequenzen zu ziehen, solange es noch nicht schmerzt." Ein langes Wegschauen führe sonst weiter in die bekannte Spirale, an deren Ende immer einschneidende Maßnahmen stehen.

Bergthaler hält sich gegenüber des ORF mit politischer Kritik eher zurück, dennoch meint auch er: Während Diagnostik und Contact Tracing in Tirol sehr gut funktioniere, fehle eine „proaktive Kommunikation“. Eine neue Variante solle kein Stigma sein, mit dem man hinter dem Berg hält. Allerdings würden die Zahlen dafür sprechen, dass die derzeitigen Maßnahmen nicht ausgereicht haben, so Bergthaler. Auch das Auftauchen neuer Varianten spreche jedenfalls nicht gegen das Impfen, sondern für eine noch effektivere Reduktion der Infektionszahlen. Das Ziel, die Inzidenz auf 50 runterzubringen, hält er „nach wie vor für sehr wesentlich.“

(twi)

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