Tschernobyl: In Österreich Belastung auch in den nächsten 300 Jahren

A wolf stands in a field in the exclusion zone around the Chernobyl nuclear reactor
A wolf stands in a field in the exclusion zone around the Chernobyl nuclear reactorREUTERS
  • Drucken

35 Jahre nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl dessen Spuren hierzulande immer noch deutlich wahrnehmbar. Und das bleibt die nächsten 300 Jahre so.

An diesem Montag ist es genau 35 Jahre her, dass in Tschernobyl, etwa 100 Kilometer nördlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew, der Reaktor 4 explodiert ist, wodurch es zu einer Kernschmelze kam – zu einem Super-GAU.

Österreich ist in Mitteleuropa eines der am stärksten betroffenen Länder. „Über Österreich sind insgesamt zwei Prozent der gesamten nuklearen Fracht niedergegangen“, berichtet Christian Katzlberger, Strahlenschützer der „Ages“ (Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit"). Die Belastung ist damals nicht gleichmäßig über Österreich verteilt worden, sondern – bedingt durch Regenfälle - im „Nordstauraum“, also auf der Nordseite der Hohen und Niederen Tauern. Betroffen sind Salzkammergut, Mühlviertel, Sau- und Koralm, das Wechselgebiet, sowie das Gebiet um Mariazell.

Erhöhte Werte im Wald, Wild und in Pilzen

Die Hauptbelastung rührt vom Caesium-137, das eine Halbwertszeit von knapp mehr als 30 Jahren hat. Das bedeutet, dass sich die Strahlenbelastung innerhalb dieser drei Jahrzehnte halbiert. David Reinberger, Atom-Experte der Wiener Umweltanwaltschaft: „Wir müssen damit rechnen, dass die Strahlenbelastung erst in 300 Jahren soweit herunten ist, dass sie auf das Maß vor dem 26. April 1986 gesunken sein wird.“

Wo ist die Belastung immer noch messbar? Das lässt sich nicht pauschal beantworten: Es hängt davon ab, wie der Boden beschaffen ist, ob und wie er bearbeitet wird. Soviel ist sicher: Landwirtschaftliche Produkte haben keine erhöhten Strahlenwerte, Caesium-137 ist noch vorhanden, aber gebunden und wird von Pflanzen nicht aufgenommen.

Das gilt nicht in Waldregionen. Hier ist erhöhte Radioaktivität im Waldboden selbst (etwa in den obersten 15 Zentimetern), in Pilzen und in Baumnadeln festzustellen.

Die auf der Homepage des Umweltbundesamts veröffentlichten Werte sind errechnete Daten, nicht gemessene, die somit nicht aussagekräftig für die kleinräumige konkrete Belastung sind. Proben werden mittlerweile relativ selten genommen, weil das Gesundheitsrisiko für Menschen vernachlässigbar ist. Die Stichproben Jahrzehnte nach dem verheerenden Unfall zeigen jedoch, dass vor allem in Pilzen punktuell deutlich erhöhte Strahlenbelastungen gemessen werden.

Keine Jagd-Beschränkungen

Und in Wild. Katzlberger: „Der höchste Wert, den wir in einem Wildtier in den vergangenen zehn Jahren gemessen haben, lag bei 6000 Becquerel pro Kilogramm.“ Diese Belastung wurde in einem Reh festgestellt – eher atypisch, weil besonders betroffen Wildschweine sind. Unter anderem deshalb, weil sie den Boden aufwühlen und dadurch viel radioaktive Substanz aufnehmen.

Jäger sind von der Unbedenklichkeit überzeugt. Christopher Böck, Sprecher des oberösterreichischen Jagdverbandes: „Es gibt keine Beschränkungen der Jagd und der Verwertung, auch bei den Wildschweinen nicht.“ In Oberösterreich werden jährlich etwa 2500 Wildschweine geschossen, in Niederösterreich etwa zehn Mal so viele.

Der Grenzwert liegt jedenfalls bei 600 Bq/kg. Auf Dauer wäre Fleisch, dessen Belastung knapp unter dem Grenzwert liegt, wohl auch nicht empfehlenswert. Ein einmaliger Verzehr wird jedoch von der Ages als unbedenklich eingestuft.

50.000 nicht gewarnt

Ingesamt am stärksten betroffen vom Atomunfall war freilich die Bevölkerung von Weißrussland (Belarus), wo der stärkste radioaktive Niederschlag niedergegangen ist, und die Ukraine selbst. Pripjat, das nur wenige Kilometer vom Kraftwerk entfernt ist, wurde erst nach 35 Stunden evakuiert, die 50.000 Bewohner wurden vorher nicht gewarnt. Zuvor hatten sie das Wochenende noch im Freien verbracht.

Viele Opfer haben auch die Aufräumarbeiten gefordert – die Liquidatoren wurden aus der gesamten Sowjetunion zum Unglücksort gebracht und eingesetzt. Diese Aufräumtrupps haben mit der Gesundheit bezahlt. Die exakten Folgen bleiben jedoch im Dunkeln, zumal kein Monitoring durchgeführt wurde.

„Wir wissen nur: Es gibt mehr Fehlgeburten"

Vitali F. Skljarov, der damalige Energieminister in der Ukraine, hat – anlässlich der Veröffentlichung seines Buches „Tschernobyl – Wie es wirklich war“ – im Interview mit der „Presse“ 2002 gesagt: „Die mehr als 600.000 Liquidatoren haben Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung, sind von der Steuer befreit, brauchen nur die halben Stromkosten zu bezahlen und können schon mit 50 in den Ruhestand treten - aber sie gäben diese Vorteile liebend gern dafür, wenn sie wieder gesund sein könnten."

Skljarov meinte damals abschließend: „Viel schlimmer sind die mutagenen Wirkungen. Schon die geringste Erhöhung der Strahlung bewirkt eine Veränderung des Erbgutes." Aber auch hier gebe es keine genauen Zahlen. "Wir wissen nur, dass es jetzt mehr Fehlgeburten und Missbildungen gibt."

Fakten und Daten der Ages zum 35. Jahrestag des Super-GAU in Tschernobyl

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.